Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1893 (1893)

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Elisabeth", wie das Volk die Schwester des Königs 
nannte, auf dem Blutgerüste starb, rein und fromm, 
wie sie gelebt hatte. Die Frauen von Paris, die das 
Blutgerüste umstanden, trugen an diesem Tage Rosen 
sträuße in den Händen. — 
IX. Lin vergessenes Grab. 
In der Rue d'Anjou St. Honoro, unweit der 
Madelainenkirche von Paris, steht die Sühnkapelle 
(Chapelle expiatoire), von einer Reihe Cypressen um 
standen, von Epheu nmgrünt. Es ist ein stilleinsames 
Plätzchen mitten im Gewühle der Riesenstadt. Die 
Pariser von heute schämen sich vielleicht, diese Er 
innerung an die Grausamkeit ihrer Väter zu besuchen 
und die Fremden wissen oder finden kaum diese Sühn 
kapelle, die melancholisch, ergreifend und verschwiegen 
wie das Grab mitten im heitersten Leben der Welt 
stadt sich erhebt. In der That, der Ort birgt vergessene 
Gräber von den edelsten Opfern der Revolution, wie 
uns die Inschrift auf dem Portale sagt: 
„Der König Ludwig XVIII. hat dies Monument 
aufgerichtet, um diesen Ort zu weihen, wo die sterb 
lichen Ueberreste des Königs Ludwig XVI. und der 
Königin Maria Antoinette, die am 21. Jänner 1815 
in das Königsbegräbnis St. Denis geführt wurden, 
21 Jahre geruht haben. Es wurde vollendet im 
zweiten Jahre der Regierung des Königs Charles X., 
im Jahre der Gnade 1826." 
Die schmucklos einfache Kapelle aus grauweißem 
Marmor enthält einen Altar, zu dessen beiden Seiten 
Marmorgruppen stehen, rechts König Ludwig XVI., 
dem der Priester in Engelgestalt den Himmel zeigt, 
links die Königin Maria Antoinette, welche die Prin 
zessin Elisabeth auf das Kreuz hinweist. Künstlerisch 
vollendet, aber auch erschütternd wahr sind beide 
Gruppen. 
Einige Stufen abwärts ist ein Grabgewölbe am 
Platze der Kalkgrube, in welche sogleich nach der Hin 
richtung die Leichen des Königs und der Königin 
waren verscharrt worden. Rund herum moderten die 
Gebeine von 7000 Opfern der Revolution; der Todten- 
gräber hatte das Königspaar etwas abseits gebettet 
und wusste später dem Könige Ludwig XVIII die 
Ruhestätte genau zu bezeichnen. In feierlicher Pro- 
cession, von allen Prinzen des königlichen Hauses von 
Frankreich und von einer zahllosen Menge begleitet, 
wurden die Gebeine des Königspaares am 21. Jänner 
1815 in die Königsgruft nach St. Denis überführt 
und dort beigesetzt. 
Alljährlich, am Todestage der königlichen Opfer 
der Revolution, liest ein Priester eine stille Messe am 
Altare in der Sühnkapelle und betet für das Seelen 
heil der Ermordeten. Wenn er geendet, verlässt er 
sinnend diese Stätte unendlicher Schwermuth, die 
Sühnkapelle wird wieder verschlossen, der stille Ort 
mit seinem vergessenen Königsgrabe. 
Am Hlömergrabe. 
Offen liegt, was lang verborgen, 
Eines Römers stilles Grab. 
Niemand weist es, welcher Morgen 
Brach einst über ihn den Stab. 
Eines nur, die Zeichen sagen, 
Dast es einen Heiden barg, 
Münze nur und Asche klagen — 
Rein Gebet umschwebt den Sarg. 
Und des Grabes tiefe Stille 
Laut mich an die Gnade mahnt, 
Deren reiche Segensfülle 
Jener Heide nicht geahnt. 
Wo noch kein Gebet erklungen, 
An der alten Heidengruft, 
Von der Neue Schmer; durchdrungen 
Laut mein Her; zum Höchsten ruft: 
„Hast dem Himmel mich geboren 
Heiland mein, in deinem Blut; 
Hast zum Rinde mich erkören 
In der Taufe Gnadenflut!" 
„War ich mehr als dieser Heide 
Würdig deiner grosten Huld? 
In des Herzens tiefstem Leide, 
Herr, bekenn' ich meine Schuld!" — 
Tvdesahuen mich umdüstert 
An des stummen Grabes Rand. — 
Trost der Zukunft! Fleh'n umflüstert 
Einst mich, wo ich Ruhe fand. 
Das Gebet wird mich umschweben 
Jener, die mir theuer sind, 
Dass ich nach dem Erdenleben 
Bald auf ewig Gottes Rind. — 
P. Petrus Martyr Haberleitner 0. 8. Pr.
	        
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