Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1893 (1893)

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tafel liest man in goldenen Lettern die Leidens 
geschichte der Königin in folgenden von Ludwig XVIH. 
selbst dictierten Worten: „Auf diesem Platze wurde 
Antonia Maria Josefa Johanna von Oesterreich, die 
Witwe Ludwigs XVI., nach der Hinrichtung ihres 
Gatten und nachdem ihr ihre Kinder geraubt worden 
waren, durch 76 Tage dem Elende, der Trauer und 
dem Kummer preisgegeben, aber, auf die eigene Tugend 
gestützt, bewies sie sich, sowie auf dem Throne, auch 
in Fesseln größer als ihr Missgeschick. Von den ver 
ruchtesten Menschen endlich zum Tode verurtheilt, 
gründete sie sich hier, als ihre Todesstunde schon 
herannahte, ein ewiges'Denkmal der Frömmigkeit, der 
Standhaftigkeit und aller Tugenden am 16. October 
des Jahres 1793. Nach der Wiederherstellung des 
Königthums wurde dieser Kerker in ein Heiligthnm 
umgewandelt im Jahre 1816 'und im 17. Regierungs 
jahre Ludwig XVIII. Wer du immer hier stehst, bete 
an, bewundere und bitte." 
VT. Die ungerechten Mchter. 
Am 15. October 1793, am Namenstage ihrer 
verstorbenen Mutter, die aus lichten Höhen auf ihr 
unglücklichstes Kind herabsah, stand Maria Antoinette 
vor dem Blutgerichte. Es war eine bloße Formel, 
denn die Verurtheilung der Königin zum Tode war 
eine längst beschlossene Sache und die Henkersknechte 
hielten die Schüsseln bereit, in denen sich die un 
gerechten Richter ihre Hände in Unschuld wuschen, wie 
es Pilatus gethan. 
In der Anklage wurde die Königin beschuldigt, 
die Finanzen verschwendet, den öffentlichen Schatz er 
schöpft, Summen daraus dem Kaiser (ihrem Bruder 
Josef II.) gegeben, mit den auswärtigen Feinden kor 
respondiert und die inneren Unruhen begünstigt zu 
haben. Aber ungeachtet der Menge von Zeugen, die 
man abhörte, konnte man nicht den geringsten Beweis 
der Schuld gegen die Königin führen. Mit Recht rief 
ihr Vertheidiger Chaveau-Lagarde: „Was mich einzig 
in Verlegenheit setzt, ist nicht, Antworten, sondern 
eine einzige scheinbare Anklage zu finden." Bailly, 
damals Bürgermeister (Maire) von Paris, hatte als 
Zeuge den. Todesmnth, die Königin geradezu in Schutz 
zu nehmen. Doch der öffentliche Ankläger des Re 
volutions-Tribunals, Fouquier-Tinville, dürstete nach 
dem Blute der Königin, die auf alle Fragen mit der 
Festigkeit der Wahrheit antwortete und die Be 
schuldigungen zunichte machte. Als aber Hebert, ein ehe 
maliger Diebsgeselle, dann Herausgeber eines Schmutz 
blattes, der wildeste unter den Wilden von Paris, 
die Angeklagte beschuldigte, dass diese ihren eigenen 
Sohn zu einer abscheulichen Sünde verführt haben 
sollte, da krampfte es der Unglücklichen das Mutter 
herz zusammen, ein Blick unsagbarer Verachtung 
traf aus den Augen der Königin den Schurken, 
der so Teuflisches ersinnen konnte. Maria Antoinette, 
die Tochter der großen Kaiserin Maria Theresia- stand 
in diesem Augenblicke als tiefbeleidigtes Weib, als be 
schuldigte Gattin, als beschimpfte Mutter vor ihren 
Richtern. Mit der ganzen Majestät des Unglücks ant 
wortete die Königin unwillig: „Wegen der Möglichkeit 
eines solchen Verbrechens appelliere ich an alle Mütter." 
Der Schurke war derselbe Hebert, der in seinem Blatte 
„Le pere Duchesne“ (Vater Duchesne) sagte: „Ich 
nehme an, dass Maria Antoinette nicht all der Ver 
brechen schuldig ist, aber war sie nicht Königin? Dieses 
Verbrechen genügt, um sie umzubringen. Keine Gnade." 
Hebert, der Gründer des verworfenen Weiberclubs, 
ward 1794 von Robespierre auf das Blutgerüst ge 
schickt, heulte und schrie als erbärmlicher Feigling auf 
dem. Wege dahin. —- Der Gerichtshof hatte Ge 
schworne aufgestellt, die reinste Lächerlichkeit. Die 
Revolutionsmänner hatten ja den ewigen Gott im 
Himmel abgeschafft, eine freche Lustdirne als Göttin 
der Vernunft herumgeführt. Die Geschwornen mussten 
bei der Hölle ihr Urtheil fällen, das lautete: „Maria 
Antoinette, genannt Lothringen-Oesterreich, Witwe 
Louis Capets, wird zur Strafe des Todes erklärt: 
ihre Güter, wenn sie deren im Gebiete des französischen 
Reiches besitzt, verfallen zugunsten der Revolution." 
Die Königin hörte ihr Todesurtheil mit vollkommener 
Fassung und ruhiger Ergebung an. Für die edle 
Dulderin hatte ja der Tod keinen Stachel mehr. Es 
war 4 Uhr morgens. Achtzehn Stunden hatte sie auf 
der Anklagebank gesessen; jetzt erhob sie sich, umleuchtet 
vom Glorienschein einer Heldin im Leide, stieg herab 
und öffnete das Gitter, das die reine Angeklagte von 
ihren viehisch-schmutzigen, von ihren ungerechten Richtern 
trennte. Sie ward nach der Conciergerie zurückgeführt, 
aber in den Kerker der Todesopfer. 
VII. Die letzten Stunden der Veruvtheilten. 
Unheimlich stille war es im Zimmer der Ver- 
urtheilten. Die Königin schrieb ihren letzten Brief an 
Prinzessin Elisabeth, das Testament einer Mutter in 
ihrer Todesstunde. Auf dem Piedestal der Marmor 
gruppe, darstellend die Königin Maria Antoinette, in 
der Sühnkapelle zu Paris ist dieser rührende Brief 
heute noch in Stein gegraben. Wir wollen ihn 
im Auszuge getreu wiedergeben, da er ein Charakter 
bild der Königin entwirft. Der Brief lautet : 
16. October, 4V* Uhr morgens 1793. 
„An Sie, meine Schwester, schreibe ich nun zum 
letztenmale: ich bin verurtheilt, nicht zu einem schimpf 
lichen Tode, denn dieser ist nur für Verbrecher, aber 
zur Vereinigung mit Ihrem Bruder; unschuldig wie 
er, hoffe auch ich in der letzten Stunde die Festigkeit 
zu zeigen, die er bewiesen hat. Ich bin ruhig, wie 
man es bei vorwurfsfreiem Gewissen ist; nur be 
dauere ich, meine Kinder verlassen zu müssen. — — 
— — — — — — Ich sterbe, wie meine Vor 
fahren, in der römisch-katholischen, apostolischen Kirche, 
in der ich erzogen ward und zu der ich mich immer 
bekannte. Da ich keinen geistigen Trost mehr erwarten 
kann und auch nicht weiß, ob hier noch Priester dieser 
Religion leben, so bitte ich selbst Gott aufrichtig um 
Vergebung aller meiner Sünden, die ich während 
meines Lebens begangen habe. Ich hoffe, dass er in 
seiner Güte mein letztes Gebet erhören wird, ebenso 
wie alle die, welche ich seit langer Zeit schon an ihn 
richte, um meine Seele in Gnaden und Erbarmen 
aufzunehmen. Ich bitte alle, die ich kannte, um Ver 
zeihung und Sie besonders, meine liebe Schwester, 
für all das Unrecht, das ich, ohne es zu wollen Ihnen 
zugefügt haben könnte. Auch vergebe ich allen meinen 
Feinden das Böse, das sie mir zugefügt. —
	        
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