Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1893 (1893)

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Lehrers überlassen, was und wie er es gerade vor 
nehmen wollte. Durch das von ihm verfasste Werk: 
„Organische Entwicklung der Intelligenz und Sprache" 
(sein Mitarbeiter Lampl schrieb den praktischen Theil 
dazu) brachte Aichinger System in den Unterricht, es 
wurde jetzt in geregelter wohldurchdachter Stufenfolge 
bei demselben vorgegangen. Durch Herausgabe einer 
biblischen Geschichte, der Glaubens- und Sittenlehre 
und eines Katechismus für Taubstumme sorgte er 
auch dafür, dass seine Schützlinge nach ihrem Aus 
tritte ans der Anstalt in ihren verschiedenen Lebens 
lagen aus den Lehren der katholischen Kirche Trost 
und Ermunterung schöpfen konnten. 
Es konnte nicht fehlen, dass solch edles Streben 
die verdiente Anerkennung der hohen Behörden fand. 
Aichinger wurde Ehrencanonicus, Ehrenbürger der 
Landeshauptstadt Linz und von Seiner Majestät mit 
dem goldenen Verdienstkreuze mit der Krone aus 
gezeichnet. Gott aber, der den hochverdienten Anwalt 
der Taubstummen am 2. April 1864 abberief, wird 
ihm sicher den ewigen Lohn zugetheilt haben. „Was 
ihr dem Geringsten meiner Brüder gethan, das habt 
ihr mir gethan." 
Schwer war es, das Erbe nach einem solchen 
Manne anzutreten; doch Gott hatte abermals einen 
Mann auserkoren, der, wie Aichinger-, sein ganzes 
Leben den Taubstummen widmete, den Weltpriester 
Johann Ev. Brandstätter, welcher die Anstalt von 
1864 bis zu seinem Tode leitete. Im Jahre-1866 
als Mitglied einer Commission für Verbesserung der 
Methode nach Wien berufen, trat er mit allem Eifer 
für die deutsche Methode (Lautsprachmethode) ein. 
Stille Jahre eifrigen und unermüdeten Schaffens in 
der Anstalt flössen dahin, als plötzlich im Jahre 1871 
die größte Gefahr für dieselbe drohte. Es waren 
gerade über 100 Zöglinge, größtentheils arme, an 
der Anstalt, als die Hiobspost — es sei die bisherige 
Dotation von 1800 fl. ö. W. dem Institute entzogen 
worden - die ganze Anstalt in die tiefste Betrübnis 
versetzte. Gott verließ seine Schützlinge nicht. Durch 
eine vom hochw. bischöfl Ordinariate bewilligte und 
empfohlene Diöcesansammlung wurde einerseits der 
Ausfall gedeckt und so viel noch erübrigt, dass im 
Jahre 1878 ein bedeutender Zubau ausgeführt und 
der langgehegte Wunsch nach einer eigenen Haus- 
kapelle befriedigt werden konnte. Durch Gründung 
einer bedeutenden Anzahl von Freiplätzen — zwanzig 
vom h. oberösterreichischen Landtage — wurde es 
möglich, einer größeren Zahl von Zöglingen unent 
geltliche Aufnahme zu gewähren, was auch jederzeit 
geschah. Hochgeehrt und ausgezeichnet feierte Con- 
sistorialrath und Ritter des kaiserl. österr. Franz 
Josef-Ordens, Brandstätter, inmitte seiner Taub 
stummen sein 50jähriges Priesterjubiläum, ein wahrer 
Freudentag für die Anstalt und die Taubstummen. 
Leider sollte den Freuden — sobald ein Trauertag 
folgen, als am 3. Juni 1888 der Herr seinen treuen 
Diener zu sich berief, um ihm für seine mehr als 
51jährige Thätigkeit in der Taubstummensache die 
ewige Freude zuzuerkennen. 
Obwohl nun Aichinger und Brandstätter durch 
bedeutende Zubauten das Institut möglichst vielen 
Competenten zugänglich machten, so musste doch all 
jährlich eine größere Anzahl Bittsteller abgewiesen 
und ans spätere Aufnahme vertröstet werden. Auf 
Bitten der Jnstitutsleitung bewilligte der h. oberöster 
reichische Landtag anlässlich der Vermählung Ihrer 
kaiserl. Hoheit der durchlauchtigsten Frau Erzherzogin 
Marie Valerie die Summen von 26.010 fl. und 
2600 fl. für Bauzwecke und 1000 fl. für innere Ein 
richtung des ausgeführten Baues. Außerdem wurden 
zwölf Erzherzogin Marie Valerie-Stiftplätze für arme 
Taubstumme aus Oberösterreich gegründet. Durch 
namhafte Spenden von verschiedenen Wohlthätern 
wurde es der gegenwärtigen Anstaltsleitung möglich, 
den alten Bau durch Aufführung eines drei Stock 
hohen und 22 Zimmer enthaltenden Zubaues, welchen 
der hochwürdigste Herr Bischof am 14. Juli 1892 
in feierlichster Weise einweihte, entsprechend zu adap 
tieren, die Lehrzimmer ganz neu einzurichten und mit 
den erforderlichen Lehrmitteln zu versehen, so dass 
die Anstalt jetzt zu den besteingerichteten Taubstummen 
anstalten gezählt werden kann. 
Möge Gott der Anstalt seinen besonderen Schutz 
und Segen auch fernerhin verleihen, mögen die hohen 
geistlichen und weltlichen Behörden derselben ihr fort 
gesetztes Wohlwollen erhalten, und mögen diese we 
nigen Zeilen dazu beitragen, dass derselben nicht bloß 
die bisherigen edlen Wohlthäter erhalten bleiben, 
sondern mögen sie das Interesse für die unglücklichen 
taubstummen Mitbrüder erwecken, damit die Anstalt 
recht bald in die glückliche Lage komme, jedem armen 
unterrichtsfähigen Taubstummen Erziehung und Un 
terricht unentgeltlich zuwenden zu können. 
Das walte Gott! 
Anstaltsleiter seit Bestehen der Anstalt: 
1. Michael Reitter, Weltpriester, geb. 29.Sep 
tember 178t zu Eberschwang, gest. 30. Mai 1830 
als Pfarrer in Kallham. 
Gründer. Director 1812 — 1818. 
2. Michael Bihringer, Weltpriester, geb. 1786 
zu Peilstein, gest. 11. April 1834 als Pfarrer in 
Hofkirchen. Director 1818—1831. 
3. Johann Ev. Aichinger, Weltpriester, geb. 
16. December 1805 zu Stroham, gest. 2. April 1864 
zu Linz. Director 1831(1833)—1864. 
4. Johann Ev. Brandstätter, Weltpriester, 
geb. 17. Oetober 1811 zu Linz, gest. 3. Juni 1888 
zu Linz. Director 1864—1888. 
Gegenwärtig leitet die Anstalt: 
5. Alois Walcher, Weltpciester, geb. 3. Juni 
1813 zu Gaflenz, Taubstummenlehrer seit 9. Jänner 
1870, pr. Director seit 7. Juni 1888. 
Anmerkung. Wie die vorstehenden Directoren, 
waren auch fast alle Lehrer der Anstalt Weltpriester 
der Diöeese Linz. Mit dankbarster Anerkennung ver 
dient hervorgehoben zu werden, dass der jeweilige 
Diöcesanbischof die erforderlichen geistlichen Lehrkräfte 
für das Institut zur Verfügung stellte, selbst zur 
Zeit, als der Priestermangel den Höhepunkt erreichte. 
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