(76)
man fast zwanzig Jahre alt ist, ist solch' eine Um
bildung schwer, aber dieser da sei doch einmal gar
nicht beizukommen". Und Magdalene machte aus ihren
Gefühlen, ihrem Heimweh kein Hehl. Das gezierte
Wesen in den Gesellschaften der Mutter widerte sie an,
wie ihr auch das zweideutige Verhältnis derselben zu
Herrn Wallner nicht lange zweifelhaft blieb und ihr
oft die helle Schamröthe in die Wangen trieb. —
Den rauhen Septembertagen folgte ein ungemein
milder October, so dass beschlossen wurde, noch eine
Reise nach Oberösterreich zu machen und sich in Linz
aufzuhalten. Zum erstenmal seit sie von der Heimat
geschieden, leuchteten Magdalenens Augen freudig auf,
als dieser Ausflug besprocben wurde und während der
Woche, die man in Linz verlebte, versäumte sie keinen
Tag, die Muttergotteskapelle im neuen Dom zu be
suchen. Seit des Buchenmüllers Lena zum erstenmale
dies erstehende Gotteshaus gesehen, war der Bau stetig
vorgeschritten. Der Hauptaltar mit der entsprechend
vollendeten Umgebung hatte sich an die Kapelle ge
reiht, deren Zugang nun ein anderer war. Run wurde
fleißig der Aufbau des Thurmes gefördert, und immer
deutlicher stellte sich dem Besucher die hehre Pracht
dieses, zukünftigen Geschlechtern gehörenden Domes dar.
Es war Nachmittag und das freundliche Sonnen
licht im Vereine mit den herrlichen Glasmalereien an
den Fensterscheiben tauchten die inneren Räume des
Domes in zaubervolle Beleuchtung. Leise schritt die
schlanke, doch kräftig gebaute Mädchengestalt den Seiten
gang entlang zur Kapelle hin, und die Bewegungen,
das verweinte Antlitz verriethen nur zu deutlich die
kummervolle, gedrückte Gemüthsstimmung. Sie machte
ja heute diesen Gang zum letztenmal, denn morgen
früh sollte die Rückreise nach Wien stattfinden. Magda-
lenen war so bange und schwer zu Muthe, als solle
sie aufs neue von Heimat, von Mutter und Bruder
Abschied nehmen.
Das Gotteshaus war völlig menschenleer; nur
zu Füßen der Marienstatue kniete eine Frau in bäuer
licher Kleidung. Ein paar Schritte hinter ihr stand
ein junger, hochgewachsener Mann, ebenfalls in bäuer
licher Tracht. — Wohl Mutter und Sohn. Magdalene
trat näher, und — großer Gott, war es keine Täuschung?
— O, mein Mutterl, mein Friede!? — —
In diesem schluchzenden Aufschrei lag alles was
das junge Mädchen in den vergangenen Monaten ge
litten. Ihre Sehnsucht, ihr Heimweh und ihr Herzeleid.
— O Mutter, o Friedet! Gott sei gepriesen, dass ich
Euch wieder habe und nun soll mich nichts mehr auf
der Welt je wieder von Euch trennen. — —
Als Lenerl geschieden war gieng wohl alles
seinen alten Gang im Buchenhofe fort. Die Bäuerin
verrichtete ihre Arbeit im Hause, während Friede! das
Gesinde regierte und die Arbeiten am Felde leitete.
Es geschah in regelrechter Weise, aber auf Mutter
und Sohn lag ein schweres Bangen; war doch der
Sonnenschein ihrem Hause entwichen. Besonders war
Friede! wie ausgetäuscht. Tiefe Schwermuth lag auf
seinen Zügen und befehligte sein ganzes Thun und
Lassen. Kaum dass er das Nothwendigste redete, oder
dass, wie sonst, Lieder und frohe Scherzworte ihm
die Arbeit würzten. Wenn die Bäuerin ihn so be
obachtete blutete ihr das Herz. Sie wusste sich gar
wohl die Veränderung des Sohnes zu deuten, denn
die keimende Herzensneigung zwischen ihren beiden
Kindern war ihr nicht entgangen und hatte sie mit
Freude erfüllt. Stand doch einer Vereinigung nichts
im Wege und sie konnten dann alle im Hofe bei
sammenbleiben. Und nun war es so gekommen und
auch ihrem Friede! war nicht zum Heile die Liebe in
das Herz gekommen. „Ja, er wird nicht sterben daran",
dachte die Mutter, „er wird es verwinden, doch seine
Natur ist der meinigen gleich, so dass ihm solche Er
fahrung das ganze Leben lang anliegt". Und noch
öfters als sonst stand die bedrängte Mutter vor dem
Bilde der lieben Frau, innig flehend, dass doch alles
sich wieder zum Guten wenden möge.
Und eines Tages nun, als schier die letzte Feld
arbeit gethan, meinte die Mütter zu ihrem Sohne,
ob er denn nicht mit einer kleinen Reise nach Linz
einverstanden sei. Friede! willigte ein, denn er er
kannte die gute Absicht der Mutter, ihn ein wenig zu
zerstreuen.
Lena führte den Sohn nun auch mit sich nach
der Muttergotteskapelle, und empfahl ihn da so recht
innig dem Schutze der Königin aller Gnaden, als sie
mit einemmale sich stürmisch von den weichen Armen
ihres lieben Lenerl umschlungen fühlte. Noch ein
inniger Aufblick zu Maria und alle drei verließen
das Gotteshaus. „O, nehmt mich mit, ich kann nicht
mehr zurück. Gott verzeihe mir, dass ich so von der
eigenen Mutter scheide, doch hat sie mich einst ver
lassen, so kann ich ihr dafür nun keinen anderen Lohn
geben, als dass auch ich von ihr gehe."
Im Gasthofe schrieb Lenerl einen Brief an Frau
Justine, worin sie bekundete, dass sie ihre Pflegemutter
gefunden, wieder mit ihr gehe, und man sie ja nicht
bestimmen wolle, den Buchenhof noch einmal zu ver
lassen. Sie danke für den guten Willen, aus ihr ein
Stadtfräulein zu machen, sie tauge nun einmal nicht
dazu, und fühle sich in ihrem Stande vollkommen
glücklich. —
Herr Wallner erschien wohl noch einigemale im
Buchenhofe, faselte von allerlei Rechtsansprüchen, von
der Minderjährigkeit des Mädchens, aber er stieß bei
Lenerl auf so energischen Widerstand, dass er endlich
achselzuckend jeden weiteren Versuch aufgab. —
Und als sich wieder der Zauber des Frühlings
über die Lande breitete, da zog eines Tages eine kleine,
hochzeitlich geputzte Schar in bäuerlichen Gewändern
in den neuen Dom der schönen Donaustadt, hin zur
.Muttergotteskapelle.
Und ein Fridolin und eine Magdalena tauschten
hier seligen Herzens das Gelöbnis ewiger Treue aus.
Diejenige Magdalena aber, der es nicht beschieden
gewesen, mit ihrem Fridolin des Lebens Wege zu
wandern, hatte bestimmt, dass die Trauung ihrer Kinder
in dieser Kapelle stattfinden sollte. „Hier hat Euch
Maria zusammengeführt, ihrem Schutze, ihrer Für
sprache verdankt Ihr Euer Glück, so soll auch diese
Stätte Zeuge Eurer Vereinigung durch Priesterhand
sein". —
Mit welch' innigem Gefühle sprach heute die
fromme Mutter die Worte des Memorare. Galt es ja
doch den Segen Mariens auf das Eheleben der theuersten
Wesen, die sie auf Erden besaß, herabzuflehen.