Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1892 (1892)

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wollte ich, meine nette Kleine, nach Dir ausschauen, 
und Dir ein wenig die Zeit vertreiben. Aber man 
kommt ja vor lauter Arbeit zu keinem ruhigen Augen 
blick. Aber jetzt trink einmal das Tässchen Kaffee und 
erzähle mir von Deinem Mutter! daheim, und Eurem 
Leben und Treiben am Lande da draußen". 
Lenerl gab mit frischem Humor Rede und Ant 
wort, so dass ein Ständlein rasch verflog und die 
Wirtin sich trefflich unterbielt. Dann fiel ihr Plötzich 
ein, dass sie noch einen Gang in eine etwas entlegene 
Gasse zu machen habe, und: „wart nur Lenerl," be 
merkte sie dabei, „da gehst Du mit. Hast ohnehin den 
neuen Dom noch nicht gesehen und der liegt mir knapp 
am Wege. Dort führe ich Dich hin, und bis ich 
meinen Einkauf erledigt, hast Du Muße genug, Dir 
die Entstehung des schönen Bauwerkes zu betrachten". 
Freudig folgte Lenerl und in wenig Minuten befand 
man sich an Ort und Stelle. Staunend betrachtete 
das Mädchen den umfangreichen Platz, den einstmals 
der hehre Prachtbau nach seiner Vollendung einnehmen 
sollte. Hierauf führte die Wirtin ihre Begleiterin an 
den Gerüsten und geschäftig hämmernden Steinmetzen 
vorüber in denjenigen Tract, wo die bereits vollendete 
Votivkapelle mit der darin aufgestellten Muttergotttes- 
statue sich befand. Hier verabschiedete sich die Frau 
mit dem Bedeuten, Lenerl möge nur dableiben bis sie 
wiederkäme, was hoffentlich nicht allzulange dauern 
würde. 
Schier ängstlich bewegt nahm das Mädchen in 
einem der Stühle Platz; sie konnte es eben gar nicht 
fassen, was doch dieser Bau für eine großmächtige 
Kirche werden müsse. Wohl viel, viel größer und 
prächtiger als das Gotteshaus daheim, was ihr doch 
immer so ansehnlich erschienen. Und, mein Gott, sann 
Lenchen weiter, wie lange würden die Leute da wohl 
noch arbeiten müssen? — Wohl an die fünfzig, an 
die achtzig, oder gar an die hundert Jahre? Huh! 
welch endlos lange Zeit! Das würde sie ja gar nicht 
einmal erleben. Ein altes, eisgraues, zahnloses Mütter! 
würde sie werden, und hier herum fügten sie wohl 
noch immer Stein an Stein, bis endlich der majestätische 
Bau zur Ehre Gottes in die Lüfte ragte. So dachte 
und grübelte das Mädchen, bis Minute um Minute 
verrann und zum erstenmale trat wohl jetzt an diese 
junge Seele die Macht ernsten Denkens heran. Bis 
jetzt hatte sie eben sorglos dahingelebt, fröhlich von 
einem Tag zum anderen, wie es eben der Kinder 
süßes Vorrecht und unbestrittener Brauch ist. Nun 
aber angeregt durch dieses Gewirr von Quadern und 
Steinen, Balken und Gerüsten, halbvollendeten Säulen 
und mächtigen Grundfesten, welche ein gar wunder 
sames Märchen von zukünftiger Herrlichkeit durch 
opferwillige Menschenhand erzählten, that Lenchen zum 
erstenmale einen forschenden, fragenden Blick in die 
eigene Zukunft. Was würde wohl ihr das Leben 
bringen? — 
Ein eigenes, nie gekanntes Gefühl schwerer 
Bangigkeit wollte da die Sinnende überkommen, bis 
ihr Auge mit einemmale nach aufwärts glitt und dort 
am Antlitze der Königin des Himmels haften blieb. 
Da erinnerte sich Lenchen, dass sie eigentlich, seit sie 
hier sitze, noch gar nichts gebetet habe, und es war 
doch ein Gotteshaus, wo es Pflicht und Sitte gebot. 
Schnell stand sie vom Stuhle auf, kniete vor dem 
Altare der Unbefleckten nieder und da sie ja, seit 
sie denken konnte, immer so gerne zur lieben Frau, 
zur Himmelsmutter, gebetet hatte, und hier ihr Bildnis 
stand, tönte St. Bernhards schönes „Memorare" 
halblaut von den zarten Lippen: 
„Gedenke, o gütigste Jungfrau Maria, es sei 
noch nie erhört worden, " 
Lenchen wusste von keiner besonderen Noth, die 
es der Mutter zu klagen hatte, es hatte sich nichts 
bestimmtes zu erbitten, nichts zu bereuen, nichts zu 
sühnen, und jenes Gebet nur aus frommer Gewohnheit 
gewählt. Einstmals war es in der Schule gelehrt 
worden und Lenerl hielt jenes Marienbildchen hoch 
in Ehren, weches es zur Belohnung vom Herrn 
Pfarrer erhalten, weil es am flüssigsten dies Gebetlein 
herzusagen gewusst. Und seit jener Zeit hatte sie es 
oft und gerne geübt und auch heute gewählt. Und 
während Lenchen so gebetet, entschwand vollkommen 
jedes Gefühl der vorhin so jäh aufgestiegenen Bangigkeit. 
Frei und leicht schlug das Herz in der jungen Brust, 
es war, als hätte von oben freundlich grüßend ein 
Engel sich herabgewendet und beruhigend dem Mädchen 
zugeflüstert, dass es nicht umsonst gebetet und die 
mächtigste aller Frauen es unter ihren besonderen 
Schutz genommen. 
Inzwischen war der Besitzer der Buchenmühle, 
nachdem er seine Tochter verlassen, eiligen Schrittes 
wieder der Donau zugewandert. Er überschritt dieselbe, 
durchkreuzte mehrere Straßen Urfahrs, bis er endlich 
vor einem alten, unansehnlichen Gebäude stehen blieb. 
Er rührte an dem Klopfer der fest verschlossenen Haus 
thüre, worauf ihm bald von einer alten Dienerin, die 
den Einlassverlangenden offenbar gut kannte, aufgethan 
wurde. Etwa eine Stunde verweilte der Bauer in 
dem düsteren Hause, und war beim Eintritt sein Antlitz 
voll schwerer Sorge gewesen, so war sein Gebaren 
beim Austritte ein derartiges, dass es keines besonderen 
Scharfsinnes bedurfte, um daraus zu entnehmen, dass 
mau drinnen nichts versucht, die Stirne des bekümmerten 
Mannes zu glätten. Er sah eben aus wie ein Mensch, 
dem seine Pläne in keiner Weise zum Guten aus- 
schlagen wollten, und dem noch überdies sein Gewissen, 
ob des betretenen Pfades, gar bittere Vorwürfe zu 
machen berechtigt war. Und in der That, waren es 
auch keine schlechten, verbrecherischen, so waren es doch 
gewiss gefährliche Wege, auf die der Bauer sich un 
bedacht gewagt. Mit leichtsinniger Hand hatte er auf 
abschüssige Bahn einen Stein gelegt, der im unauf 
haltsamen Weiterrollen seinen Wohlstand und sein An 
sehen untergraben musste. Die Sicherheit seiner eigenen 
Existenz, sowie die von Weib und Kind stand auf 
dem Spiele. Das stetige Besitzthum von Haus und 
Hof ruhte auf schwankender Basis. ■— 
Anton Thalberger, so hieß der Besitzer der Buchen 
mühle, hatte vor etwa siebzehn Jahren den Hof, sowie 
die dazu gehörige Sägemühle in gut erhaltenem und 
vollkommen schuldenfreiem Zustande übernommen. Auch 
war die Mitgift seines Weibes eine ganz ansehnliche 
gewesen, so dass es wohl dem Besitzer ein leichtes ge 
wesen wäre. sich in gutem Wohlstände zu erhalten, 
wenn er sich nur halbwegs die Sache hätte angelegen
	        
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