Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1886 (1886)

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unser Pfarrherr fortgeführt wurde. Ich habe es recht 
deutlich gemerkt, dass er nicht mehr am festesten ge 
sessen ist, sondern schon bedenklich gewackelt hat." 
„Beschämt mich nicht durch solche Erinnerungen." 
„Das wollte ich auch gar nicht." 
Das Elend war in Lemont immer größer, die 
Leute immer eingezogener und einsilbiger geworden. 
Jeder war verdrossen und trostlos in seinem Unglück. 
Da machte Soulier dem Maire den Vorschlag, die 
Kirche wieder ihrem alten Zwecke zurückzugeben und 
wenigstens gemeinsame Gebete darinnen zu verrichten, 
damit die Leute in ihrer Verzagtheit getröstet und 
aufgerichtet würden. Der Maire gab das zu, denn 
die Kirche war ohnehin leer, und ersuchte sein Weib 
auch, die Kirche bei den üblichen Gebeten zu besuchen, 
um ein gutes Beispiel zu geben. Es hätte seines 
Wunsches nicht erst bedurft. Und die Dorfbewohner 
vernahmen mit Freuden den Beschluß, die Kirche 
wieder ihrer Bestimmung zurückzugeben. Mit Eifer 
giengen sie daran, sie zu reinigen und die Verwüstung 
so viel als möglich zu verwischen. Freilich flössen 
da manche Thränen, als zum ersten Male wieder die 
Gemeindeinsassen zur Kirche kamen, Lieder sangen, 
beteten und Soulier einige Gebete allein las, aber 
kein Priester sich weder auf der Kanzel zeigte, um mah 
nende und tröstende Worte zu verkündigen, noch am Al 
tare, das hochheilige Opfer darzubringen. Es war wohl 
auch das Gerücht bereits nach Lemont gedrungen, die 
Priester, welche den Eid zu leisten verweigert hatten, 
seien wieder freigelassen worden, aber zugleich hörte 
man, dass so viele derselben bereits ihren Leiden er 
legen seien. Sollte Pfarrer L'Agneau noch am Leben 
sein? Wird er wieder zurückkehren? Wie gerne, wie 
freundlich wollte man ihn willkommen heißen! Da 
eine sichere Nachricht noch nicht da war, so konnte 
man wenigstens hoffen. 
L'Agneau wurde von der Sehnsucht angetrieben, 
so schnell als möglich nach Lemont zu kommen. Wenn 
er auch bei mildherzigen Leuten Verpflegung und Un 
terstand fand, ja manchmal ein gutes Stück Weg mit 
Roß und Wagen weitergeführt wurde, so war doch 
in der Gefangenschaft sein Körper nicht so gepflegt 
worden, daß er diese Anstrengung für längere Zeit 
ertragen hätte. Mit grösster Mühe schleppte er sich 
weiter, bis er wenigstens in die Nähe seines Pfarr- 
ortes kain. Da verließen ihn die Kräfte, er wurde 
bettlägerig. Er sandre einen Boten nach Lemont. 
War bei dieser Nachricht eine Freude im Dorfe! So 
gleich schickte der Maire einen Mann mit seinen 
Pferden dem Pfarrer entgegen. Er aber — bereits 
völlig genesen — liess das Pfarrhaus und die Kirche 
so gut als es die kurze Zeit erlaubte, schmücken und 
die Spuren des Brandes vertilgen. 
Einige Tage harrte das Dorf — in geschäftiger 
Eile — mit Ungeduld des heimkehrenden Pfarrherrn. 
Sollte derselbe — nun seiner Heerde wieder so nahe 
gekommen — dieselbe nicht mehr sehen? Das Pfarr 
haus stand wieder ziemlich nett da, sein Bewohner 
aber weilte noch fern von ihm. Täglich spähte Sou 
lier stundenlang vom Thurme aus, es wollte kein 
Wagen kommen. L'Agneau musste durchaus sich eine 
Woche Erholung gönnen, bevor er nur im Wagen 
die Reise fortsetzen konnte. Endlich gieng das. Son- 
liers Augen, welche durch die der Knaben unterstützt 
wurden, sahen zuerst den Ersehnten kommen. Er 
eilte die Thurmtreppe hinab, den Knaben zurufend: 
„Läutet jetzt, was ihr könnt, unser Pfarrherr kommt, 
unser Pfarrherr kommt wieder!" Und schneller als 
er einstens seinen. Verfolgern auf dieser Stiege ent 
eilt war, lief er jetzt diese Stufen hinunter. Die Glocken 
hatten Groß und Klein auf die Beine gebracht. Auch 
der Maire stand im schönsten Sonntagsstaate beim 
Eingänge des Dorfes und zupfte dann und wann 
verlegen an seiner Halskrause, von der sein geröthetes 
Gesicht sehr abstach. Dann räusperte er sich wieder, 
er schien in der Stille seine einstudierte Rede zu 
wiederholen. Da erhob sich in der Ferne ein Staub 
wölkchen. Alles richtete seine Augen dorthin, der Wagen 
kam. Alles war stille. Ein feierlicher Augenblick. Der 
Wagen hielt, der Pfarrer spendete seinen knieenden 
Pfarrkindern den Segen. Dann war schon Soulier 
herbeigeeilt, ihm vom Wagen herabsteigen zu helfen. 
Ans dem Boden angelangt, schloß er den Maire in 
seine Arme, der gerade wie der verlorne Sohn vor 
ihm hätte niederfallen wollen. Und so wenig dieser 
die Worte, durch die er hätte wollen um Verzeihung 
bitten, hatte sprechen dürfen, so durste sie der Maire 
sprechen, der Pfarrer hinderte ihn daran, auch konnten 
beide vor Thränen kaum ein Wort hervorbringen. 
Die Zuschauer dieser Scene waren selbst auch bis zu 
Thränen gerührt. Langsam bewegte sich der Zug durch 
das Dorf in die Kirche, wo heiße Dankgebete zu 
Gott emporstiegen, dass diese traurigen Tage ihr Ende 
gefunden und der treue Hirte wieder heimgekehrt sei. 
Maria Wal, 
das anmuthige Wallfahrtskirchlein zu St. Margarethen bei Linz. 
»t. Margarethen bei Linz verdankt wol seine Ent 
stehung dem Bächlein, welches sich daselbst 
über Felsgestein in die Donau stürzt. Das 
S^" Wasser kommt aus dem Zauberthal heraus. 
Groß ist es nicht, aber gar traulich ist sein Gemurmel. 
Man geht ihm so gerne nach, sieht in seinem klaren 
Wasser die munteren Forellen unter die Gesteine huschen 
und wird fast melancholisch, wenn man es dort im 
engen Pass jäh abstürzend dem Zauberthale brausend 
Adieu sagen hört. 
Gar viele hundert Jahre schon hat das frische 
Wässerlein dem mächtigen Donaustrome Sand und
	        
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