Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1886 (1886)

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vermochten, für die ausgestandenen Leiden zu entschä 
digen. 
Diese Gesinnungsänderung war auch bei den 
Bewohnern von Lemont vor sich gegangen. Sie hatten 
die Republik bereits satt bekommen, weil diese ihre so 
prahlerisch verheißenen Beglückungen nicht gebracht 
hatte, sondern eher ihr Gegentheil. Da war es denn 
doch unter dein Königthume anders gewesen. Da fass 
doch der Kopf eines Schuldlosen fest auf seinen 
Schultern, was jetzt nicht der Fall war, wie das 
Ströme von Blut und die wandernden Guillotinen 
bewiesen. Zuerst durfte und brauchte man nichts zu 
glauben, jetzt musste man Gott wieder anerkennen. 
Unter dem Königthume hatte man sich doch satt 
essen können, das war aber unter der Republik nicht 
der Fall, da eine Hungersnoth ausgebrochen, die 
zum Theile die Republik verschuldet hatte. 
Unter den vielen schönen Sachen, die man dem be 
thörten Volke versprochen hatte, war auch die Abschaffung 
der Steuern gewesen; aber in ganz Lemont fühlten das 
nur der Krämer und die wenigen Handwerker, die 
Bauern mussten nach wie vor die Steuern zahlen. 
„Wozu," fragten sie unwirsch, „brauchen wir denn dann 
eine Republik, wenn Alles beim Alten bleibt, ja noch 
schlimmer wird?" — Man hatte wirklich alle Steuern 
abgeschafft, die Grundsteuer ausgenommen, nach dem 
falschen Grundsätze, dass nur der Boden Wert produ- 
ciere, was eine große Missstimmung auf dem Lande 
hervorrief. Um die Bedürfnisse des Staates aber dennoch 
zu decken, half sich der Convent durch die Confiscation 
der Güter des Adels, die er an die Meistbietenden 
verkaufte. Das gieng aber für die Bedürfnisse der 
Republik viel zu langsam. Es wurde daher der Be 
schluss gefasst, unter dem Namen „Assignaten" Staats 
papiergeld auszugeben, für welches die confiscierten 
Güter im vollen Betrage als Unterpfand dienen sollten. 
Der Versuch gelang, so lange man sich in den Schranken 
des Bedürfnisses hielt. Als man aber von den Steuern 
nur mehr die Grundsteuer behalten, so deckte die Re 
gierung alle Staatsausgaben eine Zeitlang mit Assig 
naten. Das Uebermaß dieser Ausgabe konnte nicht 
lange verborgen bleiben, das Metallgeld begann zu 
verschwinden,. das Staatspapiergeld sank im Werte, 
während die Preise der Waaren enorm hoch stiegen. 
Die Regierung half sich gegen die Steigerung der 
Preise einfach mit der Drnckerpresse, so dass die Ge- 
sammtsumme der ausgegebenen Assignaten die Höhe 
von 40.000 Millionen Livres (== Franken) erreichte. Um 
das Unglück noch zu steigern, kam noch dazu eine 
Missernte, wodurch eine Hnngersnoth entstand. Da 
der Preis des Getreides für Viele nicht mehr zu er 
schwingen wa-r, da die Assignaten fast keinen Wert 
mehr besaßen, so beschloss der Convent, einen 
Maximalpreis für das Getreide festzusetzen. Die Ge 
treidebesitzer wollten für dieses wertlose Geld ihre 
Waare nicht hergeben, sondern versteckten sie, so dass 
die Hungersnoth fortdauerte. Nur durch die Androhung 
der Guillotine konnte hie und da Getreide herbeige 
schafft werden. Die Noth wurde noch größer, als 
die Assignaten noch mehr entwertet wurden, was da 
durch geschah, dass sie in Millionen, namentlich in 
England gefälscht wurden, was leicht geschehen konnte, 
weil sie mit großer Leichtfertigkeit hergestellt worden. 
Zuletzt sank der Wert dieses Papiergeldes auf Null 
und endigte sein Dasein als Zimmertapete. Viele 
Familien wurden durch diesen Staatsbankerott in's 
tiefste Elend gestürzt. 
All' diese bitteren Früchte hatte man in Lemont 
in reichlichem Maße genossen, die erhofften goldenen 
Tage waren nicht gekommen und der Traum hatte 
bald sein jähes, trauriges Erwachen zur Folge. Man 
hatte nun wenig Zeit mehr von den „Menschenrechten" 
und dergleichen viel zu reden, sondern zu trachten sich vor 
dem Erhungern zu schützen. Und die Kirche, das jetzige 
Körnerhaus, .wurde wenig für das Einlagern des Ge 
treides in Anspruch genommen, da Manche kaum zu 
Hause ein bischen Korn für das tägliche Brod hatten. 
Das gab natürlich Stoff genug zum Nachdenken. — 
Wie L'Agneau seine weite beschwerlicheReise zu Fuß 
zurücklegte und zu seiner Freude sah, dass den Leuten 
wiederum ihr Christenthum im Herzen lebendig gewor 
den, da freute er sich über diese Wahrnehmung so sehr, 
wie über seine Freilassung, weil er im Innersten die 
stille Hoffnung nährte, es werde in seiner Gemeinde 
ebenso aussehen. Was seine Hoffmmg aber nicht recht 
wachsen liess, das war die Erinnerung an den Maire 
und dessen Hass gegen ihn. Würde dieser nicht Alles 
aufbieten, die anderen Dorfbewohner in ihrem Un 
christenthum zu erhalten und zu bestärken? Würde 
die Rückkehr nach Lemont dann eine erfreuliche sein? 
Was wäre das für ein Empfang, was für ein Wieder 
sehen? Doch L'Agneau hoffte. Und er hatte recht. 
Auch die Bäume des Maire waren nicht in den 
Himmel gewachsen. Er war von einer argen Krank 
heit, vom Nervenffeber, ergriffen worden. Als das 
Weib seines Bruders das sah, ergriff es die Flucht, 
um nur ja das eigene Leben in Sicherheit zu bringen. 
Der alte Soulier war sein treuester Wärter, der sich 
seiner liebevoll annahm. Durch diesen erfuhr sein Weib, 
das sich in einem Nachbarorte bei ihren Verwandten 
aufhielt, von seiner Krankheit und sogleich eilte sie an 
das Krankenbett ihres Gatten, um ihn zu pflegen, — 
selbst da ihr eigenes Leben dadurch in Gefahr kam. 
Sobald der Kranke nur einigermäßen zu sich kam und 
diese grossmüthige Liebe sah, dankte er seiner Gattin 
für ihre Treue und Anhänglichkeit und bat sie um 
Verzeihung für alles Ueble, das er ihr in so reichem 
Maße zugefügt habe, sie inöge ihm verzeihen und 
diese traurige Zeit vergessen. — Seine Gattin hatte 
ihm ihr Verzeihen schon durch die That, durch ihre 
Pflege bewiesen; sie war eben in diesen trüben Tagen 
eine Christin geblieben. Und dem alten Soulier dankte 
der Maire auch, dass er f® hochherzig ihm gegenüber 
gehandelt und Böses mit Gutem v«g«lten habe. Rur 
einen Wunsch habe « >«ch, er sau Leben so 
lange erhielte, bis er de« Pflirrherm all' das Leid 
abgebeten, das er in sein«« nafje und in seiner Ver 
blendung ihm zugefügt. Auch der Wunsch Souliers 
war es. seinen Pfarrer noch einmal zu sehen. Für 
sich wies er jeden Dank zurück. „Wisst Ihr," sprach 
er scherzhaft, „ich habe mich jetzt nur dankbar gezeigt, 
dass Ihr mir meinen alten Kopf noch gelassen, als
	        
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