50
Lohn der Darmherfigkeit.
Eine wahre Geschichte.
ohann Capistr. Weber, ehedem Caplan im Allgäu
SC in Bayern, erzählte einst dem berühmten Jugend-
'k 1 ■ , schriftsteller Christoph v. Schmid folgende merk-
würdige Begebenheit: „Als ich vor einigen Jahren an
einem ziemlich kalten Winterabende mit meinem Pfarrer
beiin Abendmahle saß, erschien am Fenster ein sehr
dürftig gekleideter Knabe und hielt um ein Almosen
an. Er klapperte mit den Zähnen und zitterte vor Frost
am ganzen Leibe. Ich bat den Pfarrer um Erlaubnis,
den Knaben hereinzurufen und ihm einen Teller voll
warmer Suppe zu geben. Der Pfarrer erlaubte es
gerne und teilte voll Mitleid dem hungrigen Kinde
von allem mit, was auf den Tisch kam. Der Kleine
griff tüchtig zu, und nachdem er sich satt gegessen
hatte, dankte er mit Thränen in den Augen und wollte
weiter gehen. Es wurde ihm aber übel, denn er hatte
sich zu sehr erkältet. Wir erkannten, dass wir ihn in
diesem Zustande nicht weiter gehen lassen konnten. Ich
schlug vor, dem armen Knaben das kleine Zimmer ein
zuräumen, in welchem die Capuziner zu übernachten
pflegten, wenn sie in der Gegend Almosen sammelten.
Mein Vorschlag wurde genehmigt, das Zimmer geheizt
und der Knabe zu Bette gebracht. Ich holte sogleich
den Arzt, welcher die Krankheit für ein heftiges Fieber
erklärte und Arznei verschrieb. An guter Pflege fehlte
es natürlich nicht, und als die Heftigkeit des Fiebers
nachgelassen hatte, suchte ich den kleinen Kranken näher
kennen zu lernen. Sein Vater war vor längerer, die
Mutter erst vor kurzer Zeit gestorben. Bon seiner
frommen Mutter hatte er das Vaterunser und andere
kurze Gebete erlernt; er konnte sie recht deutlich und
andächtig hersagen. Da ich mir auch den religiösen
Unterricht des Knaben recht angelegen sein liess, lernte
er nun Gott und Christus näher kennen und lieben.
Die Erzählungen aus der biblischen Geschichte und dem
Leben Jesu hörte er mit grösster Aufmerksamkeit und
sie machten ihm unbeschreibliche Freude. Er gewann
eine solche Erkenntnis und Liebe Gottes, wie ich sie
noch bei keinem Kinde seines Alters wahrgenommen
hatte. Leider verschlimmerte sich die Krankheit immer
mehr und wurde zu einem zehrenden Fieber. Der
Knabe litt mit unbeschreiblicher Geduld und war immer
fröhlich. Er freute sich darauf, in den Himmel zu
kommen und dort mit Jesus und Maria auch Vater
und Mutter wieder zu finden. Im Herbste starb er,
oder vielmehr schlief er sanft ein, um im bessern Leben
wieder zu erwachen. — Im folgenden Winter besuchte
ich einen etwa eine halbe Stunde weit entfernten Kranken
und verweilte bei demselben, bis es bereits Nacht ge
worden war. Der Knecht des Hauses erbot sich, mich
heim zu begleiten. Ich wollte ihm aber, da er sich schon
während des Tages müde gearbeitet hatte, diese Mühe
ersparen. Auch glaubte ich den Weg, den ich schon oft
gemacht hatte, ohne Wegweiser zu finden. Allein es war
frischer Schnee gefallen und hatte den Fussweg un
kenntlich gemacht. Ich verirrte mich, und nachdem ich
eine zeitlang ohne Pfad dahingegangen war, brach auf
einmal der Boden mit Krachen unter meinen Füßen.
Ich war ans einen zugefrorenen Weiher geraten, dessen
Eis noch nicht stark genug war, einen Menschen zu
tragen. Da ich nichts fand, woran ich mich hätte halten
können, sank ich über den halben Leib in's Wasser,
ohne einen Grund zu finden, und sah keine Möglich
keit, mir herauszuhelfen. In dieser äußersten Not um-
floss mich auf einmal heller Glanz. Von leichtem Ge
wölk umgeben, erschien mir mit verklärtem, freundlich
lächelndem Angesicht der Knabe, den ich zum Tode
vorbereitet und dem ich die Augen zugedrückt hatte.
Der Verklärte bot mir die Hand, stellte mich heraus
auf festen Boden, deutete mit ausgestrecktem Arme,
wohin ich gehen sollte und verschwand. In der mir
angegebenen Richtung kam ich auch glücklich nach Hause,
unter Empfindungen, die ich nicht auszusprechen ver
mag. — Sobald der Tag angebrochen war, gieng ich
hinaus zur Stelle, wo ich Gefahr gelaufen zu ertrinken,
und durch übernatürliche Hilfe gerettet worden war.
Ich bemerkte im Schnee meine Fusstritte bis zur ver
hängnisvollen Stelle; ebenso meine Fussstapfen von
meinem Krankenbesuche bis hieher. Sonst war aber
keine Spur eines menschlichen Fusstrittes zu sehen. Ich
sah das eingebrochene Eis und bemerkte, dass der Weiher
gerade da am tiefsten war. Gott dankend für diese so
wunderbare Rettung, verweilte ich einige Augenblicke
an der Stelle und kehrte dann in ernste Gedanken ver
tieft wieder nach Hause zurück". — „Daraus ersehen
wir, bemerkt hierzu Christoph v. Schmid, dass fromme
geliebte Verstorbene in jener Welt noch um uns wissen,
und an dem, was uns begegnet, liebevollen Anteil
nehmen, wenn es ihnen Gott gestattet und wir dessen
würdig sind."