Volltext: Oberösterreichischer Preßvereins-Kalender auf das Jahr 1886 (1886)

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Lohn der Darmherfigkeit. 
Eine wahre Geschichte. 
ohann Capistr. Weber, ehedem Caplan im Allgäu 
SC in Bayern, erzählte einst dem berühmten Jugend- 
'k 1 ■ , schriftsteller Christoph v. Schmid folgende merk- 
würdige Begebenheit: „Als ich vor einigen Jahren an 
einem ziemlich kalten Winterabende mit meinem Pfarrer 
beiin Abendmahle saß, erschien am Fenster ein sehr 
dürftig gekleideter Knabe und hielt um ein Almosen 
an. Er klapperte mit den Zähnen und zitterte vor Frost 
am ganzen Leibe. Ich bat den Pfarrer um Erlaubnis, 
den Knaben hereinzurufen und ihm einen Teller voll 
warmer Suppe zu geben. Der Pfarrer erlaubte es 
gerne und teilte voll Mitleid dem hungrigen Kinde 
von allem mit, was auf den Tisch kam. Der Kleine 
griff tüchtig zu, und nachdem er sich satt gegessen 
hatte, dankte er mit Thränen in den Augen und wollte 
weiter gehen. Es wurde ihm aber übel, denn er hatte 
sich zu sehr erkältet. Wir erkannten, dass wir ihn in 
diesem Zustande nicht weiter gehen lassen konnten. Ich 
schlug vor, dem armen Knaben das kleine Zimmer ein 
zuräumen, in welchem die Capuziner zu übernachten 
pflegten, wenn sie in der Gegend Almosen sammelten. 
Mein Vorschlag wurde genehmigt, das Zimmer geheizt 
und der Knabe zu Bette gebracht. Ich holte sogleich 
den Arzt, welcher die Krankheit für ein heftiges Fieber 
erklärte und Arznei verschrieb. An guter Pflege fehlte 
es natürlich nicht, und als die Heftigkeit des Fiebers 
nachgelassen hatte, suchte ich den kleinen Kranken näher 
kennen zu lernen. Sein Vater war vor längerer, die 
Mutter erst vor kurzer Zeit gestorben. Bon seiner 
frommen Mutter hatte er das Vaterunser und andere 
kurze Gebete erlernt; er konnte sie recht deutlich und 
andächtig hersagen. Da ich mir auch den religiösen 
Unterricht des Knaben recht angelegen sein liess, lernte 
er nun Gott und Christus näher kennen und lieben. 
Die Erzählungen aus der biblischen Geschichte und dem 
Leben Jesu hörte er mit grösster Aufmerksamkeit und 
sie machten ihm unbeschreibliche Freude. Er gewann 
eine solche Erkenntnis und Liebe Gottes, wie ich sie 
noch bei keinem Kinde seines Alters wahrgenommen 
hatte. Leider verschlimmerte sich die Krankheit immer 
mehr und wurde zu einem zehrenden Fieber. Der 
Knabe litt mit unbeschreiblicher Geduld und war immer 
fröhlich. Er freute sich darauf, in den Himmel zu 
kommen und dort mit Jesus und Maria auch Vater 
und Mutter wieder zu finden. Im Herbste starb er, 
oder vielmehr schlief er sanft ein, um im bessern Leben 
wieder zu erwachen. — Im folgenden Winter besuchte 
ich einen etwa eine halbe Stunde weit entfernten Kranken 
und verweilte bei demselben, bis es bereits Nacht ge 
worden war. Der Knecht des Hauses erbot sich, mich 
heim zu begleiten. Ich wollte ihm aber, da er sich schon 
während des Tages müde gearbeitet hatte, diese Mühe 
ersparen. Auch glaubte ich den Weg, den ich schon oft 
gemacht hatte, ohne Wegweiser zu finden. Allein es war 
frischer Schnee gefallen und hatte den Fussweg un 
kenntlich gemacht. Ich verirrte mich, und nachdem ich 
eine zeitlang ohne Pfad dahingegangen war, brach auf 
einmal der Boden mit Krachen unter meinen Füßen. 
Ich war ans einen zugefrorenen Weiher geraten, dessen 
Eis noch nicht stark genug war, einen Menschen zu 
tragen. Da ich nichts fand, woran ich mich hätte halten 
können, sank ich über den halben Leib in's Wasser, 
ohne einen Grund zu finden, und sah keine Möglich 
keit, mir herauszuhelfen. In dieser äußersten Not um- 
floss mich auf einmal heller Glanz. Von leichtem Ge 
wölk umgeben, erschien mir mit verklärtem, freundlich 
lächelndem Angesicht der Knabe, den ich zum Tode 
vorbereitet und dem ich die Augen zugedrückt hatte. 
Der Verklärte bot mir die Hand, stellte mich heraus 
auf festen Boden, deutete mit ausgestrecktem Arme, 
wohin ich gehen sollte und verschwand. In der mir 
angegebenen Richtung kam ich auch glücklich nach Hause, 
unter Empfindungen, die ich nicht auszusprechen ver 
mag. — Sobald der Tag angebrochen war, gieng ich 
hinaus zur Stelle, wo ich Gefahr gelaufen zu ertrinken, 
und durch übernatürliche Hilfe gerettet worden war. 
Ich bemerkte im Schnee meine Fusstritte bis zur ver 
hängnisvollen Stelle; ebenso meine Fussstapfen von 
meinem Krankenbesuche bis hieher. Sonst war aber 
keine Spur eines menschlichen Fusstrittes zu sehen. Ich 
sah das eingebrochene Eis und bemerkte, dass der Weiher 
gerade da am tiefsten war. Gott dankend für diese so 
wunderbare Rettung, verweilte ich einige Augenblicke 
an der Stelle und kehrte dann in ernste Gedanken ver 
tieft wieder nach Hause zurück". — „Daraus ersehen 
wir, bemerkt hierzu Christoph v. Schmid, dass fromme 
geliebte Verstorbene in jener Welt noch um uns wissen, 
und an dem, was uns begegnet, liebevollen Anteil 
nehmen, wenn es ihnen Gott gestattet und wir dessen 
würdig sind."
	        
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