glauben könnte, daßMrbeiter und Studenten nach dem Krieg mit¬
einander „Deutschland, Deutschland über alles" singen würden."
Arbeiter und Studenten! Gibt es zwei Welten, die einander
weniger kannten, als diese beiden? An der tiefen Kluft ändert
es nichts, wenn Studierende der Sozialwissenschaften oder Ange¬
hörige der sogenannten freien Studentenschaft gelegentlich mit
Arbeitern verkehrten und diskutierten. Es will doch kein ehrlicher
Mensch bestreiten, daß die Studenten, besonders die Korpsstudenten
und Burschenschaftler, die Arbeiter im allgemeinen nur als „Pro¬
leten", „Lümmel" usw. zu kennen glaubten. And daß die Arbeiter
sich einbildeten, ein Korpsstudent oder Burschenschaftler könne
von vornherein nichts anderes sein, als ein Faulenzer aus Kosten
seines Vaters, ein Fatzke und roher Genußmensch. Dabei sind
von unserem alten Wilhelm Blos und dem verstorbenen Schön¬
lank mit der zerhackten Wange an die Leute mit Schmissen im
Gesicht aus unseren Redaktionen und in der Fraktion gar nicht
selten. Für mich persönlich war das Entsetzlichste der letzten
dreißig Jahre der allgemeine Antergang des Sinnes für das
Menschliche unter einem Wust von Klassenvorurteilen und ober-
siächlichen Gesamtbegrissen. Das hatte einen Lochmut der Klassen
und aller Parteien gegeneinander und eine Ankenntnis unter¬
einander zur Folge, daß ich es verstehe, wenn man den Ausbruch
des Kriegs als letztes heroisches und segensreiches Mittel will¬
kommen hieß, das die Wahrheit an den Tag bringen sollte.
And was ist diese Wahrheit?
Aus zahllosen Feldpostbriefen, auch aus unveröffentlichten,
die mir durch die Lände gingen, spricht die Verwunderung von
Studenten, jungen Beamten aus akademischen Berufen und
Künstlern über die feinen Menschen und vornehmen Charaktere,
die sie unter den einfachsten Arbeitern finden. Das ist für sie
so wie eine neue Entdeckung. Zn einem Schreiben, das mir vorlag,
schildert ein Lehramtspraktikant, wie Saarbrücker Bergleute, mit
denen er als gemeiner Freiwilliger zusammen sei, ihn hielten wie
ein Kind und ihm jede schwere Arbeit beim Schanzen abnähmen.
And aus manches Arbeiters Feldpostbrief klingt die verwunderte
Anerkennung für die kameradschaftliche Festigkeit im Verkehr der
Offiziere mit den Mannschaften heraus. Bei uns in Baden
22