Volltext: Der Krieg und die Sozialdemokratie [25]

glauben könnte, daßMrbeiter und Studenten nach dem Krieg mit¬ 
einander „Deutschland, Deutschland über alles" singen würden." 
Arbeiter und Studenten! Gibt es zwei Welten, die einander 
weniger kannten, als diese beiden? An der tiefen Kluft ändert 
es nichts, wenn Studierende der Sozialwissenschaften oder Ange¬ 
hörige der sogenannten freien Studentenschaft gelegentlich mit 
Arbeitern verkehrten und diskutierten. Es will doch kein ehrlicher 
Mensch bestreiten, daß die Studenten, besonders die Korpsstudenten 
und Burschenschaftler, die Arbeiter im allgemeinen nur als „Pro¬ 
leten", „Lümmel" usw. zu kennen glaubten. And daß die Arbeiter 
sich einbildeten, ein Korpsstudent oder Burschenschaftler könne 
von vornherein nichts anderes sein, als ein Faulenzer aus Kosten 
seines Vaters, ein Fatzke und roher Genußmensch. Dabei sind 
von unserem alten Wilhelm Blos und dem verstorbenen Schön¬ 
lank mit der zerhackten Wange an die Leute mit Schmissen im 
Gesicht aus unseren Redaktionen und in der Fraktion gar nicht 
selten. Für mich persönlich war das Entsetzlichste der letzten 
dreißig Jahre der allgemeine Antergang des Sinnes für das 
Menschliche unter einem Wust von Klassenvorurteilen und ober- 
siächlichen Gesamtbegrissen. Das hatte einen Lochmut der Klassen 
und aller Parteien gegeneinander und eine Ankenntnis unter¬ 
einander zur Folge, daß ich es verstehe, wenn man den Ausbruch 
des Kriegs als letztes heroisches und segensreiches Mittel will¬ 
kommen hieß, das die Wahrheit an den Tag bringen sollte. 
And was ist diese Wahrheit? 
Aus zahllosen Feldpostbriefen, auch aus unveröffentlichten, 
die mir durch die Lände gingen, spricht die Verwunderung von 
Studenten, jungen Beamten aus akademischen Berufen und 
Künstlern über die feinen Menschen und vornehmen Charaktere, 
die sie unter den einfachsten Arbeitern finden. Das ist für sie 
so wie eine neue Entdeckung. Zn einem Schreiben, das mir vorlag, 
schildert ein Lehramtspraktikant, wie Saarbrücker Bergleute, mit 
denen er als gemeiner Freiwilliger zusammen sei, ihn hielten wie 
ein Kind und ihm jede schwere Arbeit beim Schanzen abnähmen. 
And aus manches Arbeiters Feldpostbrief klingt die verwunderte 
Anerkennung für die kameradschaftliche Festigkeit im Verkehr der 
Offiziere mit den Mannschaften heraus. Bei uns in Baden 
22
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.