Volltext: Descartes' Schule [1. Band. Zweiter Theil, zweite völlig umgearbeitete Auflage] (1,2,2 / 1865)

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zwar zu seinem Erstaunen und mit der ungläubigsten Miene- 
daß Spinoza die Zwecke für verworrene Ideen erklärt habe, der 
kann in der Ethik Spinoza's nicht eine Zeile gelesen haben. 
Und wie vollkommen verborgen ihm Spinoza geblieben war, davon 
gab Mendelssohn in der That ein ebenso sicheres als naives Zeug 
niß, als er zu wissen wünschte, welche Schriften Iacobi als Quelle 
des Systems im Auge gehabt, ob die von Meyer herausgegebenen 
oder andere. Er wußte also nicht, daß die Ethik die einzige Schrift 
ist, welche das System Spinoza's enthält, und daß diese Schrift 
unter den nachgelassenen war, die Meyer herausgab. Er konnte 
also die Ethik kaum gesehen, geschweige jemals gelesen haben. 
Und doch stritt er über die Lehre Spinoza's! 
Hierher gehört jener unverständige und schlimme Vorwurf, 
den Viele der Lehre Spinoza's gemacht haben, daß sie unmo 
ralisch sei, weil sie die Geltung der moralischen Begriffe ver 
neine. Aber diese Lehre ist ein System der reinen Natur und 
begreift daher nur die natürliche Nothwendigkeit der Dinge. Sie 
kennt keine andere. Ist die Natur ein moralisches Wesen? Kann 
sie ein unmoralisches sein? Ein System, welches nichts anderes be 
greifen kann und will als Natur, ist freilich kein Moralsystem. 
Ist eine solche Lehre darum ein unmoralisches System? Von der 
Natur erwartet niemand moralische Handlungen. Läßt sich von 
einem Systeme fordern, daß es Moral lehren solle, wenn dieses 
System vermöge seiner ganzen Beschaffenheit nur begreift, was 
aus dem Wesen der Natur folgt? Vom Spinozismus eine Moral 
als Vorschrift des menschlichen Handelns erwarten, hieße Kürbisse 
von der Eiche verlangen: man kann solche Begriffe in diesem Sy 
stem nicht vermissen, weil man sie hier nicht suchen kann; also 
darf man ihm nicht vorwerfen, daß sie fehlen. Richtig ist: Spi 
noza war kein Moralist. Aber was will das heißen? Er war 
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