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Das persönliche Interesse Descartes' ist mit der ersten Fassung;
die Richtung seiner Lehre treibt nach der zweiten. „Während er
sich Augustin zu nähern scheint, nähert er sich Spinoza wirklich."
So haben wir selbst früher diesen Zug seiner Lehre charakterisirt *).
Und eben dieser Zug hat sich ein eigenthümliches System
ausgebildet, in welchem er sich deutlich und rein darstellt. Er
beschreibt eine Richtung, die von Descartes ausgeht, aufAugustin
zustrebt, dem Spinozismus aufs äußerste widerstreitet, gegen jede
Gemeinschaft mit demselben sich sträubt und dennoch wider ihren
Willen dem Gebiete Spinozas soweit entgegenkommt, daß sie
schon die Grenze überschreitet. Der Standpunkt, den diese Rich
tung nimmt, ist dadurch merkwürdig und bedeutsam, daß sich in
ihm auf cartesianischer Grundlage Augustinismus und Spinozis
mus ganz nahe berühren und ganz feindlich abstoßen.
Wir finden die Aufgabe dazu schon in Descartes vorgebildet.
Wie ist eine Erkenntniß der Dinge, insbesondere der Körper,
möglich, wenn doch Geister und Körper Substanzen, entgegen
gesetzte Substanzen sind, die einander völlig ausschließen? Of
fenbar ist eine solche Erkenntniß von jenen beiden Seiten aus
nicht möglich. Kraft der Natur der Geister und Körper kann
sie nicht stattfinden. Descartes selbst hatte tiefsinnig gezeigt,
wie in uns die Zdee des Vollkommenen das Unvollkommene er
hellt, wie wir im Lichte dieser Idee unsrer eigenen Unvollkommen
heit d.h. unsrer selbst innc werden, unsre Selbsttäuschung ein
sehen, in Zweifel gerathen und erst durch den Zweifel zur Gewiß
heit unseres denkenden Wesens kommen. Er hatte gezeigt, wie
in dieser Selbstgewißheit uns durch die Idee Gottes und nur
*) Vgl. Band I dieses Werks Th. I Zweites Buch Cap. XI Nr. 3
Augustinismus und Spinozismus S. 515 — 519.