Volltext: Descartes' Schule [1. Band. Zweiter Theil, zweite völlig umgearbeitete Auflage] (1,2,2 / 1865)

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lichen Willen empfangen, um ihn auszulegen und dem Volk zu 
verkünden, so sind sie Propheten, und die Offenbarung wird zur 
Prophezeiung. 
Eine solche übernatürliche Offenbarung ist von der natürlichen 
wohl zu unterscheiden. Gott offenbart sich naturgemäß in der 
ewigen Ordnung der Dinge, die sich in der Erkenntniß und Liebe 
Gottes vollenden. Diese Offenbarung ist nicht bedingt durch eine 
besondere Erwählung, so daß nur gewisse, bevorzugte Personen 
dafür empfänglich sind; sie ist nicht geknüpft an besondere Zeichen: 
sie ist unmittelbar und allgemein. Dagegen jene Offenbarung, 
die durch Zeichen und Propheten hindurchgeht, ist mittelbar und 
particular. Was aus der wahren Erkenntniß und Liebe Gottes 
folgt, die vollkommene Lauterkeit der Gesinnung, der Friede des 
Geistes, die Freiheit von der Selbstsucht: darin ist Gott unmit 
telbar gegenwärtig. So unmittelbar ist Gott in Christus offen 
bar. Christus ist diese unmittelbare und adäquate Offenbarung 
Gottes, die nicht beschränkt ist durch besondere Zeichen und nicht 
abhängig von einer besonderen Erwählung dieses Volks und dieser 
Person: der vollkommen reine und lautere Wille, in welchem der 
Mensch erlöst ist von der Selbstsucht. Und was Christus ist, leh 
ren seine Apostel für alle Welt. 
Dagegen die Offenbarungen und Prophezeiungen des alten 
Testaments erscheinen stets als eine besondere Verleihung und sind 
allemal geknüpft an gewisse Zeichen, es seien nun Worte oder Ge 
sichte, es seien wirkliche oder eingebildete. Diese Offenbarungen 
sind stets bildlicher, anschaulicher Art. Sie werden daher em 
pfangen von einer lebhaften und gesteigerten Einbildungskraft, die 
dem Erkenntnißvermögen untergeordnet ist und keineswegs der 
vollkommene und höchste Ausdruck der Seele. Prophezeiungen sind 
deßhalb keine Erkenntnisse; sie sind es schon darum nicht, weil
	        
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