Volltext: Descartes' Schule [1. Band. Zweiter Theil, zweite völlig umgearbeitete Auflage] (1,2,2 / 1865)

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Bücher, so ist er doch der Urheber des Gesetzes oder vielmehr der 
Prophet, der das von Gott ihm geoffenbarte Gesetz den Juden ver 
kündet hat. Diese Offenbarung beruht auf der göttlichen Er 
wählung des Volks Israel. Und die jüdische Theologie gründet 
sich auf diese Offenbarung. 
Aber die Theologie deutet jene Erwählung in einem Sinn, 
welchen die einfache biblische Geschichte nicht hat noch haben kann. 
Der Glaube, erwählt oder bevorzugt zu sein, ist seiner ganzen Art 
nach nicht religiös. Die Vortheile des Einen sind die Nachtheile 
des Anderen. Wer sich seiner Vortheile freut, empfindet mit Ge 
nugthuung, daß Andere diese Vortheile nicht haben, und lebt also 
in einer Gemüthsverfassung, für welche der eigene Vorzug und 
der fremde Mangel Ursache der Freude sind. So liegt das stolze 
und selbstgefällige Gefühl der Erwählung mitten in den mensch 
lichen Affecten der Selbstliebe, des Neides, der Bosheit, die mit 
der Frömmigkeit und Liebe zu Gott nichts gemein haben. Dieser 
Glaube an das vor allen übrigen Völkern der Welt auserwühlte 
Volk Gottes ist nicht religiös, sondern in seiner Wurzel selbst 
süchtig. 
Wozu hat Gott die Juden erwählt? Wozu allein kann er 
sie erwählt haben? Offenbar zu etwas, das die menschliche Na 
tur aus eigenem Vermögen weder gewinnen noch erhalten kann, 
also zu etwas, dessen Besitz nur möglich ist durch die äußere Hülfe 
und Leitung Gottes. Dieses Ziel ist nicht die Erkenntniß der 
Dinge, auch nicht die Tugend und Frömmigkeit, denn dazu ge 
langt die menschliche Natur aus eigenem inneren Vermögen d. h. 
aus der ihr inwohnenden göttlichen Kraft oder, religiös ausge 
drückt, durch die innere Hülfe Gottes. Sie gelangt nur auf die 
sem Wege zu diesen Zielen. Darum giebt es in Rücksicht der 
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