Volltext: Descartes' Schule [1. Band. Zweiter Theil, zweite völlig umgearbeitete Auflage] (1,2,2 / 1865)

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eigenen Interesse das Gebiet der Meinungen freigeben und diese 
Freiheit schützen. 
Wenn der Glaube kein Recht mehr hat, über die Erkenntniß 
zu gebieten, so hat er auch keinen Beweggrund mehr, sich in den 
Kampf der Meinungen zu mischen, so hat er auch kein Bedürf 
niß mehr, Andersdenkende zu hassen und zu verfolgen. Und 
erst wenn im Glauben der Haß und die Verfolgungssucht erlischt, 
entsteht das wahrhaft religiöse Leben der Liebe und Frömmigkeit. 
So ist die Geistesfreihcit nicht bloß im Interesse des Staats, 
sondern ebenso sehr in dem der Religion. Der Staat will die 
Sicherheit und den Frieden der Menschen; die Religion will ein 
frommes und durch Liebe friedfertiges Leben. Die Sicherheit ini 
Staat und die Frömmigkeit in der Religion vertragen sich nicht bloß 
mit der Freiheit der Philosophie und des Denkens, sondern sie wer 
den beide vernichtet, wenn man die letztere zerstört und der Glau 
bensautorität opfert, wenn man den Glauben über die natürliche 
Erkenntniß herrschen und gelten läßt selbst als oberstes, auf 
göttliche Offenbarung gegründetes Erkenntnißsystem. Sind es 
auch nicht dieselben Bedingungen, aus denen Staat, Religion, 
Philosophie hervorgehen, so sind es doch dieselben Bedingungen, 
die ihnen zugleich Gefahr drohen. Vernichtet man die Philosophie 
oder, was dasselbe heißt, in der Philosophie die Freiheit des Den 
kens zu Gunsten einer Glaubensherrschaft, so giebt man dem Glau 
ben die Macht über die Meinungen, so erzeugt und nährt man 
in ihm den Haß, so zerstört man in der Religion die Frömmig 
keit und im Staate den Frieden d. h. in beiden Gebieten die 
Grundlagen. 
Diesen Zusammenhang zu erleuchten und die Grundlagen 
der Religion und des Staats in ihrer Uebereinstimmung darzu- 
thun, schreibt Spinoza den theologisch-politischen Tractat. Das
	        
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