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in Acht als vor ihm; darum möchte ich Dich und alle Bekannten
dringend ermahnen, daß ihr meine Ansichten ihm nicht eher mit
theilet, als bis er reifer geworden. Vorderhand ist er noch zu kin
disch undunbeständig und mehr von bloßer Neugierde getrieben als
von ächter Wahrheitsliebe. Ich hoffe aber, daß er diese kindischen
Fehler in einigen Jahren ablegen wird; ja, soweit ich seine Fä
higkeiten beurtheilen kann, halte ich mich dessen versichert, und
so bin ich ihm wegen seiner guten Anlagen zugethan." *)
Diese Beschreibung paßt genau auf jenen Jüngling, den
Spinoza zwar in der Philosophie unterrichten, aber in seine eigene
Lehre nicht einführen wollte, weil er ihm dafür nicht reif genug
schien. Unter den jüngern Bekannten des Philosophen, die wir
aus dem Briefwechsel kennen lernen, ist nur Einer, der unwillkürlich
an die Züge erinnert, die Spinoza in dem obigen Briefe von seinem
Hausgenossen in Rhynsburg entwirft, den er zugleich als charak
terlos, unfest und talentvoll schildert: ich meine Albert B u rgh,
den katholischen Convertiten, der im Jahr 1675 jenen unreifen
und zudringlichen Bekehrungsbrief an Spinoza schrieb. In keinem
Fall ist Simon Vries, wie einige geglaubt, der junge Mann, dem
Spinoza die cartesianische Philosophie gelehrt und die seinige ge
flissentlich vorenthalten hat; denn Vries las um dieselbe Zeit
schon die Ethik.
2. Herausgabe. Die mathematische Darstellungsweise.
Das Dictat bezog sich zunächst nur auf die Naturphilosophie
Descartes', auf den zweiten und den Anfang des dritten Theils der
Principien. Als nun Spinoza im April 1663 nach Ansterdam
*) Ad B. de Spinozae Opera supplementärst (ed. van Vio
len) p. 295, 97.