Volltext: Im Lenz geknickt

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20. Juni 1876 Abends. 
Ich habe sie wieder auf einige Augenblicke ge¬ 
sehen. Wie sehr sehnte ich mich darnach, wie glücklich 
hoffte ich durch und in dieser Begegnung zu sein — und 
wie anders ist die Wirklichkeit gekommen. Ich bin un¬ 
ersättlich und daher unglücklich. 
Für mich gibt es nur zwei Orte, an denen ich 
Ruhe zu finden wähne. 
Der eine ist an der Seite Minnas (und werde ich 
je dahin gelangen?) und der andere sechs Schuh tief 
unterm Boden. Leicht wäre es dahin zu gelangen, aber 
Muth gehört dazu, und ich fühle ihn nicht. Ein Glück, 
daß er auch ohne mein Zuthun erreichbar ist; wer 
weiß, wie 'bald ich dort weile! — 
Wie thöricht bin ich! Zwei Schritte sind unsere 
Körper oft von einander entfernt, wäre dies eine Kluft, 
die Geister zu trennen im Stande ist? Ein Schritt eines 
Kühnen und die Scheidewand der Convenienz fällt, die 
er vordem für unübersteiglich gehalten! Wer diesen 
Schritt wagte? Warum sollte ich's nicht? Vielleicht 
aus Furcht mich lächerlich zu machen? — 
21. Juni Abends. 
Der Mensch nennt sich stolz den Herrn der Schö¬ 
pfung, um hinter dieser tönenden Phrase seine Schwäche 
zu bergen! Habe ich es doch nicht einmal in meiner 
Macht, ein Bild aus meinem Innern zu tilgen, das 
mich fort und fort zu erneuerter Selbstgual treibt. Wo 
bleibt der vielgerühmte freie Wille des Menschen? Oder 
! ist er am Ende derselbe freie Wille, der den Falter 
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