Volltext: Meine Kriegserinnerungen

In Brest-Litowsk 
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Die Kämpfe bei der Heeresgruppe v. Linfingen hatten sich bis in die 
zweite Julihälfte hingezogen. Sie hörten nie völlig auf. Es lag schwer auf 
der Heeresgruppe. Die Front war nicht fest. 
Am 28. Juli hatte ein neuer großer russischer Angriff längs des Stochod 
begonnen und mit unerhörter Heftigkeit bis zum 1. August abends angedauert. 
Der Russe hatte eine vielfache Überlegenheit zusammengefahren und sie ohne 
Rücksicht auf Verluste immer von neuem eingesetzt. An vielen Stellen hatte 
es sehr kritische Augenblicke gegeben. Deutsche Landwehrtruppen mußten den 
in österreichisch-ungarische Linien eingedrungenen Feind zurückwerfen: selbst 
deutsche Truppen verloren in ihren dünnen Linien Gelände, die Verluste waren 
schwer. Schließlich wurde doch unter Aufbietung aller Kraft die Front gehalten. 
Am Abend waren wir in Wladimir-Wolynsk beim k. u. k. 4. Armee- 
Kommando, das General v. Linsingen unterstand. Die Armee war ganz von 
deutschen Truppen durchsetzt. Wir gewannen dort kein erfreuliches Bild. 
Am nächsten Morgen waren wir in Lemberg, dem Hauptquartier des 
k. u. k. 2. Armee-Kommandos. Wir lernten in General v. Boehm-Ermolli 
und seinem Chef klar sehende und richtig urteilende Soldaten kennen, mit 
denen zusammenzuarbeiten allen deutschen Dienststellen immer eine Freude 
war. Sie gaben sich über die nur geringe Widerstandsfähigkeit ihrer Truppen 
keinerlei Täuschung hin und waren erfreut, als ihnen eine gemischte deutsche 
Abteilung unter General Melior für die nächsten Tage zugesagt werden konnte. 
Sie rechneten mit Sicherheit auf die Fortsetzung des feindlichen Angriffs. 
In Lemberg sprach ich auch General v. Seeckt, Generalstabschef der Heeres 
gruppe Erzherzog Karl. Er beurteilte die Lage namentlich südlich des Dnjestr 
sehr ernst. 
Überall hörten wir das gleiche Lied: die Krise im Osten bestand noch in 
voller Schärfe. 
Ich hatte mir die Aufgaben gestellt: Festigung der Front und Ausbildung 
der k. u. k. Armee. Wie weit ich hierin erfolgreich sein würde, blieb zweifelhaft. 
Unser Hauptquartier in unserem Eisenbahnzug auf dem Bahnhöfe von 
Brest-Litowsk bot nichts Anziehendes. Wir waren ungemein dürftig unter 
gebracht. Es fehlte für die Arbeit an Raum. Die großen Karten allein sind 
in ihrer Größe anspruchsvoll, und dann gab es auch noch zu schreiben. Die 
Sonne brannte erbarmungslos auf die Dächer der Wagen und machte den 
Aufenthalt unerträglich. Ich beschloß deshalb, sobald als möglich den Zug zu 
verlassen, und schlug dem Generalfeldmarschall Brest-Litowsk selbst als Quartier 
vor. Die vollständig ausgebrannte Stadt kam überhaupt nicht in Frage, die 
Zitadelle war ein kleines Gefängnis. Der Kommandant der Festung hatte dort 
seine Wohnung und seine Arbeitsräume eingerichtet, aber nicht die Arbeitskräfte 
gehabt, die Zitadelle auch nur einigermaßen aufzuräumen. Ich ordnete die 
Einrichtung des Hauptquartiers daselbst an. Natürlich dauerte es geraume 
Zeit, bis alles fertig war und wir aus dem Zuge erlöst wurden. 
Ich bin gern in Brest gewesen und aus der Zitadelle nicht herausgekommen. 
Die selten schönen, hohen Weiden, die mit ihrem Geäst tief in die Gewässer 
herabhingen, die die Zitadelle durchströmen, und einige kurze Alleen gaben dem 
Ganzen einen freundlichen Charakter. Außerhalb der Festung war Einöde; 
die schmucklosen, aber so wichtigen Bahnanlagen und die verbrannte Stadt 
boten wenig Anziehungspunkte. 
Ich ließ die Baracken von dem sie umgebenden Gestrüpp freilegen, daß
	        
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