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Der Angriff im Westen 1918
zum Siege geführt und noch die Kraft besessen hat, im Verein mit treuen Unter
offizieren und Mannschaften es über den Rhein zu führen — ein ungeheure,
der Großtaten dieses Krieges würdige Leistung.
Es hatte sich allmählich viel Ungesundes im deutschen Volk und Heer
angesammelt. Krankheitserscheinungen waren nicht mehr zu verkennen, sie
wurden auch von vielen wahrgenommen. Der deutsche Kronprinz, der mich
häufig in Avesnes aufsuchte, sprach sich mit steigender Beunruhigung dar
über aus und wandte sich auch in Eingaben an den Kaiser. Ich konnte diesen
nur beipflichten. Ich teilte meine Besorgnisse immer von neuem den Herren
mit, die mit mir berufen waren, zu heilen und die Krankheitserscheinungen
zu ergründen. Ich fand kein williges Gehör. Das deutsche Volk hat es — selbst
nicht schuldlos — mit feinem Leben zu büßen.
Die Ersatzfrage hielt uns dauernd in Spannung. Ich hatte Gelegenheit,
Seiner Majestät den Ernst unserer Ersatzlage eingehend zu schildern. Dem
Reichskanzler gegenüber war die O.H.L. auf ihre alten Anträge vom Herbst
1916 und Herbst 1917 für Hebung der Ersatzgestellung zurückgekommen. Ende
Juni wurden die Beratungen über alle diese Fragen zwischen dem Reichs
kanzler, dem Generalfeldmarschall, dem Kriegsminister und mir in Spaa wieder
holt. Ich äußerte mich nochmals überaus ernst zu der Notwendigkeit, Ersatz
zu schaffen, gegen Drückeberger und Deserteure in der Heimat mit den schärfsten
Maßnahmen vorzugehen und vor allem auf die Kampfentschlossenheit des
Volkes zu wirken, wobei ich wieder auf die Gefahren eines Teils unserer
Presse, der feindlichen Propaganda und des Bolschewismus hinwies.
Ich habe über alle diese Punkte noch viel öfter gesprochen, als ich es hier
in dieser Niederschrift anführe. Auch diesmal wurde mir viel zugesagt. Die
Zustände aber änderten sich nicht. Ich weiß nicht, ob die Herren meine An
gaben für übertrieben oder für eine Ausgeburt meines „Militarismus" hielten.
Inzwischen hatte ich vbn neuem versucht, unsere Erfolge zur Stärkung
der Friedensbewegung beim Feinde auszunutzen. Dem Reichskanzler war
eine neue Denkschrift hierüber übersandt worden. Nach den Reden Clemen-
ceaus waren wir meines Erachtens gezwungen, den.Krieg weiterzuführen
oder uns zu demütigen. Ich muß annehmen, daß die verantwortlichen Staats
männer ebenso dachten. Der Reichskanzler wenigstens nahm in seiner Reichs
tagsrede vom 12. Juli den gleichen Standpunkt ein. Er betonte unsere dauernde
Friedensbereitschaft, so lange aber der Vernichtungswille des Feindes bestehe,
mühten wir ausharren; zeigten sich beim Feinde ernsthafte Regungen für die
Anbahnung des Friedens, so würden wir sofort darauf eingehen.
„Ich kann Ihnen auch sagen, daß dieser Standpunkt nicht etwa nur mein *
Standpunkt ist, sondern daß dieser Standpunkt auch von der O.H.L. ausdrück
lich geteilt wird, denn auch sie führt den Krieg nicht um des Krieges willen,
sondern hat mir gesagt: Sobald ein ernster Friedenswille sich aus der anderen
Seite bemerkbar macht, müssen wir der Sache nachgehen."
Der Reichskanzler hatte die Ansicht des Generalfeldmarschalls und die
meine richtig wiedergegeben.
Wenn ich jetzt, zurückschauend, an die Möglichkeit und Aussicht eines
von der Regierung unternommenen Friedensschrittes denke, so steht für mich
fest, daß wir Waffenstillstand und Frieden nur zu den Bedingungen erhalten
hätten, die wir jetzt zu erfüllen haben. Dies hätten wir nicht auf uns ge
nommen, wie wir es im Oktober trotz des Ernstes unserer Lage auch nicht