eine recht stattliche, etwas gebückte Erscheinung in
eleganter, dunkler Kleidung, mit tadellosen Manie
ren: der richtige Gelehrtenkopf, brauner Vollbart,
gütige blaue Augen unter goldgeränderter Brille.
Treuherzig berichtete er mir, er habe über Anraten
eines Wiener Spezialisten für seine Familie das ge
sunde Klima der Grazer Umgebung zum Sommerauf
enthalt gewählt, um zugleich in der Universitätsbiblio
thek historische Werke studieren zu können. Der
Krieg habe ihn, der jeglicher Politik fernstehe, über
rascht. Er bitte, nach Genesung seines Kindes unter
Bedeckung an die Grenze überstellt zu werden.
Die Hausdurchsuchung verlief ganz ergebnislos.
Seine Papiere waren vollkommen in Ordnung. Sie
lauteten auf Dr. Alexander Kovaric, Professor der
Altertumskunde an der Belgrader Hochschule. Außer
Büchern und Notizen wissenschaftlichen Inhalts fan
den sich keinerlei Dokumente vor. Und so wurde denn
der Herr Professor nach kurzer Konfinierung seinem
Wunsche gemäß samt Familie an die Grenze über
stellt, nachdem man — eine übertrieben scheinende
Vorsicht — ein genaues Lichtbild von ihm aufge
nommen . . .
Mehrere Wochen später wurde in einem Dorfe
nächst Marburg eine junge slowenische Lehrerin we
gen serbophiler Äußerungen verhaftet. Damals etwas
Alltägliches, dem man keine besondere Bedeutung
beilegte. Spielten Bei solchen Anzeigen doch vielfach
Haß und Denunziationssucht mit sowie die Möglich
keit, persönliche Rachegelüste zu befriedigen.
4 Seeliger, Spione und Verräter
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