DER PROFESSOR AUS BELGRAD
Nach einem Erlebnis des k. u. k. Oberst
leutnantauditors Dr. S.
Um meinen streng unparteilichen Standpunkt
gleich am Anfang zu betonen: es hat im großen Krieg
genau so österreichische und deutsche Spione in Ser
bien oder Rußland gegeben wie serbische oder rus
sische Spione in Österreich oder Deutschland. Nur
muß man in der Beurteilung einen Unterschied ma
chen zwischen Ausspähern, die um schnöden Judas
lohn arbeiteten, und jenen, die als Gentlemen, als
Politiker, Diplomaten, Offiziere und sonstige Stan
despersonen aus glühendem Patriotismus oder einem
dienstlichen Befehl gehorchend in der gefährlichen
Maske der Spionage ihrem Vaterland zu nutzen be
strebt waren. Denn während des Krieges erfordert die
Ausspäherei nicht selten ebensolchen Mut und oft
noch mehr Selbstverleugnung, als etwa seine Abtei
lung gegen das Schnellfeuer einer feindlichen Stellung
zum Sturm heranzuführen.
Vom menschlichen Standpunkt erscheint es begreif
lich, wenn in der Hast und Aufregung der ersten
Kriegstage von vornherein jeder Angehörige eines der
nunmehr feindlichen Staaten als spionageverdächtig
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