Dann begann er mir langsam sein Herz auszu
schütten.
„Wenn Sie die Kleine gesehen hätten, Herr Rat!
Diese Gestalt wie eine eben flügge gewordene
Nymphe, überrieselt von der feinsten Pariser Spitzen
robe, die mehr enthüllt als bekleidet! Dazu die Hal
tung, der Gang — königlich ist zu wenig. Diese Füß
chen, die Fesseln —“
„Genug“, unterbrach ich lachend den Enthusias
mus der bureauwidrig trunkenen Seele. „Sagen Sie
mir vorerst, von wem Sie eigentlich sprechen,
Baron?“
„Von ihr, dem himmlischen neuen Mannequin der
Firma Rousselle und Sohn, der einzigen Loulou! Vor
gestern abend ist sie erst gekommen, direkt aus Paris,
samt den neuesten Modeschöpfungen. Und nun liegt
ihr bereits ganz Kolmar zu Füßen. In einer Stunde
tragt sie drei verschiedene Toiletten spazieren, eine
reicher und großartiger als die andere. Unsere Frauen
und Mädels gucken sich förmlich die begehrlichen
Augen blind daran. Und die Männer am Dazugehöri
gen. Aber ich muß ihre Bekanntschaft machen, noch
heut’ abend. Koste es, was es wolle!“
Ich versuchte gar nicht, meinen girrenden Referen
dar abzukühlen. Baron Rheinberg war der Sohn des
reichsten Rittergutsbesitzers im ganzen Kreise. Bei
ihm spielten ein paar tausend Mark nicht die ge
ringste Rolle. Dabei war er Reserveoffizier, gewandt
und unternehmend genug, um vor den Augen der
hübschen Pariserin Gnade zu finden. Mochte er also
14 Seeliger, Spione und Verräter
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