Volltext: Hier spricht der Feind

Aber wir mußten uns beeilen. Jede verlorene Minute bedeutete für den Deutschen 
einen Spatenstich, einen Stacheldraht, ein Grabenstück. Fast in jeder Nacht 
während der ersten Woche schickte uns das Oberkommando einen Operationsplan 
für den Tag. Die Anordnungen waren sehr einfacher Natur: Das Einschießen 
mußte um 8 Ahr morgens beendet sein, das Vernichtungsfeuer um 12, der Stunde, 
die für den Angriff vorgesehen war. Aber wir konnten in vier Stunden nicht das¬ 
selbe leisten, was uns einen ganzen Monat an Vorbereitungen gekostet hatte. Wir 
mußten uns orientieren, neue Veobachtungsstände suchen und Tag für Tag das 
wirre und fortwährend durch das feindliche Feuer zerschnittene Telephonnetz 
flicken. Die Kräfte der Geschützbedienungen und Offiziere erschöpften sich immer 
mehr. Ich habe mir vorgenommen, mich hier jeder leichten und müßigen Kritik 
zu enthalten. Es muß jedoch gesagt werden, daß wir alle — ob zu Recht oder 
Anrecht, mag dahingestellt bleiben — der Meinung waren, daß das Oberkommando, 
hinter seinen Karten und Blaustiften verschanzt, ein eingebildetes Ziel hartnäckig 
verfolgte, ohne der Wirklichkeit ins Auge sehen zu wollen. So flössen die Tage 
ergebnislos dahin. Dort hinten hatte man die Artillerie in Verdacht, schlaff und 
ohne den nötigen Eifer zu sein. Vorn aber. . . vorn sah es freilich anders aus! 
Denn wenn auch das Einschießen kaum beendet war, und das Vernichtungsfeuer 
kaum hatte begonnen werden können, so fand trotzdem der Angriff, wenn nicht um 
12, so doch spätestens um 2 Ahr statt. Verluste häuften sich auf Verluste, Mi߬ 
erfolg reihte sich an Mißerfolg. 
Ein Offizier der Abteilung erhielt immer die Verbindung mit der Infanterie auf¬ 
recht; am 29. September kam die Reihe an mich. In derselben Geländevertiefung 
wie am ersten Tage, am Rande der Straße von Tahure nach Souain, traf ich den 
Infanterieobersten wieder an. Die Vertiefung und die benachbarten Waldstücke 
waren mit ungefähr 50 Zentimeter tiefen Schützenlöchern besät, welche wie die 
Sandhügel, die Kinder am Strande errichten, mit großen weißen Steinen ring¬ 
förmig umgeben waren. Sie waren mit Zeltbahnen von der Farbe des Herbst¬ 
laubes überspannt, und unter diesen Hüllen nahm man die Bewegungen von 
Menschen wahr, die an Hasen in ihren Löchern erinnerten. Rauhe Stimmen 
mischten sich in den feuchten und kalten Septembernebel. Zuweilen wurde eine 
Zeltbahn plötzlich zurückgerissen und enthüllte einen zusammengekauerten, in die 
Nische geschmiegten Körper, der hervorkroch, um seine durch das Nachtlager auf 
bloßer Erde erstarrten Glieder auszustrecken. Oder ein Gesicht mit entzündeten 
Augen, verwildertem Bart und lederartigen, erdfarbigen Runzeln spähte hervor. 
Ein Laufgraben, der kaum bis in Kniehöhe Schutz gewährte, führte nordwärts; er 
war seiner ganzen Länge nach durch die Leichname von Gefallenen gesäumt, die 
der Tod in den verschiedenartigsten Stellungen überrascht haben mußte. Die einen 
lagen auf dem Gesicht und hielten das Schanzzeug noch in der Hand, andere waren 
auf den Rücken gestreckt, als ob sie auszuruhen gedächten. Seltsamerweise hatten 
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