Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Nun ist dem discursiven Verstände das Ganze eines Objects 
nur gegeben, sofern er es aus dem Mannigfaltigen der Anschau 
ung synthetisch zusammensetzt, oder mit anderen Worten: das 
Ganze des Objects ist ihm nicht unmittelbar gegeben. Wäre ihm 
das Ganze unmittelbar gegeben, so wäre der Verstand nicht dis- 
cursiv, sondern intuitiv. Und eben darin besteht die Eigenthüm 
lichkeit des menschlichen Verstandes, daß er nicht intuitiv ist. 
Was also bleibt diesem Verstände in der Betrachtung der leben 
digen Körper übrig? Er muß, um dem Objecte gleich zu kom 
men, von dem Ganzen ausgehen als der wirkenden Ursache der 
Theile und ihrer Ordnung; nun ist ihm in der Anschauung das 
Ganze nicht gegeben, also kann er nicht von dem angeschauten 
oder realen Ganzen ausgehen, sondern nur von der Vorstellung 
oder der Idee des Ganzen; er muß daher die Vorstellung 
des Ganzen als die Ursache ansehen, welche die Theile zu der ge 
gebenen Erscheinung zusammenfügt, d. h. er muß die Ursache zu 
dieser Erscheinung durch die Idee der Wirkung bestimmt denken. 
Die Vorstellung des Ganzen, als Ursache gedacht, ist der Be 
griff des Zwecks. So ist für den discursiven (menschlichen) Ver 
stand der Begriff des Zwecks die einzige Möglichkeit, um leben 
dige Objecte aufzufaffen. 
Nehmen wir an, daß die lebendigen Körper auf mechanische 
Weise entstehen, daß die Natur des lebendigen Ganzen die Form 
und Ordnung der Theile mechanisch erzeugt, so würde dieser 
Mechanismus nur einem solchen Verstände einleuchten können, 
der das Ganze anschaut, dem das Ganze in den Theilen unmit 
telbar einleuchtet: nur ein intuitiver Verstand würde im 
Stande sein, einen solchen Mechanismus zu begreifen. Aber 
der menschliche Verstand ist nicht intuitiv, er ist kein anschauen 
des Denken; ihm sind die Theile in der Anschauung, das Ganze 
Fischer, Geschichte der Philosophie IV. 2. ICufl. 44
	        
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