Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Aber die kritische Bestimmung hat in diesem Punkte ihre 
großen Schwierigkeiten. Der Gedanke der natürlichen Zweck 
mäßigkeit will sehr vorsichtig behandelt und zwischen den Klippen, 
die ihn von entgegengesetzten Seiten bedrohen, behutsam hin 
durchgesteuert werden. Das Leben in der Natur ist Organisation, 
diese ist innere Vollkommenheit, innere Zweckmäßigkeit; diese 
Zweckmäßigkeit ist ein Ausdruck zweckthätiger Kräfte. Wie sol 
len die zweckthätigen Kräfte bestimmt werden? Entweder als 
der Materie inwohnend oder als der Materie nicht inwohnend, 
entweder als natürliche oder als übernatürliche Kräfte. Wenn wir 
die zweckthätigen Kräfte der Materie zuschreiben, so gerathen wir 
in den Hylozoismus, den „Tod aller Naturphilosophie"; wenn 
wir die zweckthätigen Kräfte außer die Materie und mithin über 
die Natur setzen, so gerathen wir in den Theismus, so ist die 
Beurtheilung der natürlichen Zweckmäßigkeit nicht mehr teleo 
logisch, sondern theologisch, so ist das Naturleben nicht mehr 
Naturproduct, sondern göttliches Kunstproduct, und damit ist 
die Grenze der Naturbetrachtung überschritten. 
Die teleologische Betrachtung darf weder Hylozoismus noch 
Theismus sein, und doch scheint es, daß sie eines von beiden 
sein müsse. Sie will Naturbetrachtung sein, darum vermeidet 
sie die theistischc Formel, Teleologie ist nicht Theologie; sie darf 
nicht Hylozoismus werden, das verbietet die Naturphilosophie. 
Hylozoismus und Theismus sind die Klippen, die vermieden 
werden müssen. Gerade in diesem Punkte liegt die kritische 
Schwierigkeit. Was bleibt übrig? Daß die teleologische Ur 
theilskraft sich bloß an die Natur, d. h. an die Erfahrung hält, 
daß sie natürlich bleibt, aber nicht Naturerkenntniß sein will 
(dann wäre sie Hylozoismus), sondern bloß Naturbetrach 
tung, daß sie ihr Princip nicht für einen bestimmenden Natur
	        
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