Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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naiv. Weil es naturmäßig schafft, darum ist sein Product we 
der wissenschaftlich noch moralisch, sondern ästhetisch oder künst 
lerisch. 
Das Genie kann nicht anders als künstlerisch wirken, das 
Genieproduct kann nichts anderes sein als Kunstwerk. Darum 
giebt es nur in der Kunst Genies, nicht in der Sittlichkeit, nicht 
in der Wissenschaft. 
Was auf Begriffen beruht, das kann gelernt werden; was 
dagegen hervorzubringen nur möglich ist durch Naturanlage, das 
kann nie gelernt werden. Darin ist das Genie einzig in der 
Rangordnung der Geister. Was das Genie erzeugt, das hätte 
niemals durch Nachahmung erzeugt, also niemals erlernt werden 
können: das ist der specifische Unterschied zwischen dem Genie und 
den wissenschaftlichen Köpfen; das ist der absolute Unterschied 
des Genies vom bloßen Nachahmungsgeiste, der nichts selbst her 
vorbringen, sondern nur lernen und nachmachen kann, wir mei 
nen jene dürftigen Köpfe, die Kant mit dem Worte „Pinsel" 
bezeichnet. Es giebt auch in der Wissenschaft erfinderische und 
bahnbrechende Geister, sogenannte „große Köpfe"; sie sind speci 
fisch vom Genie verschieden; was sie entdeckt und erfunden haben, 
hätte auch können gelernt werden und ist vollständig begriffen und 
gelernt worden. Zn Newton's Werken, der einer der größten 
Köpfe der Menschheit war, ist nichts Unlernbares; der ganze 
Entdeckungsgang, den Newton genommen hat, läßt sich vollkom 
men klar und begreiflich darstellen; jeder, der ihn begriffen hat, 
kann diesem Geist in allen seinen Entdeckungen nachgehen. Da 
gegen die Schöpfung eines Kunstwerks ist schlechterdings unnach 
ahmlich, unlernbar. Homer ist nicht ebenso begreiflich als 
Newton! „Zm Wissenschaftlichen also ist der größte Erfinder 
vom mühseligsten Nachahmer und Lehrlinge nur dem Grade nach,
	        
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