Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

591 
intellektuell; die Einbildungskraft stimmt mit dem Verstände 
spielend überein, d. h. sie wird vom Verstände nicht genöthigt, 
sie bildet ihre Vorstellung nicht unter dem Zwange vorgeschriebe 
ner Begriffe, sie handelt vollkommen ungezwungen, also völlig 
frei und unabhängig von jeder gegebenen Regel. In der ästhe 
tischen Betrachtungsweise ist die Einbildungskraft ebenso gesetz 
mäßig als frei: sie ist frei, also productiv; sie ist gesetzmäßig 
ohne Gesetz, sie schafft zweckmäßig ohne Absicht. Es liegt dar 
um in der Natur der ästhetischen Einbildungskraft, daß ihre Vor 
stellungen jede absichtliche Gesetzmäßigkeit, jede erzwungene Re 
gelmäßigkeit ausschließen. Das absichtlich Regelmäßige ist steif, 
das Steife ist stets geschmackswidrig. Ein englischer Park in sei 
ner scheinbaren Regellosigkeit ist dem Spiele der ästhetischen Ein 
bildungskraft weit angemessener, als die steife und prosaisch sym 
metrische Gartenkunst des französischen Geschmacks*). 
Wenn das Object durch die bloße Betrachtung gefällt, so 
gefällt es durch seine bloße Form. Was die Form außerdem 
noch gefällig macht, ist nicht mehr rein ästhetisch, sondern sinn 
liches , aus den Reiz und die angenehme Empfindung berechnetes 
Beiwerk. Die Form ist die Hauptsache; sie ist das eigentlich 
ästhetische Object. Im Bildwerk ist es die Gestalt, im Tonwerk 
der harmonische Einklang und die melodische Folge. In der bil 
denden Kunst besteht die reine Form in der Zeichnung, in der 
Musik besteht sie in der Composition. 
Das rein ästhetische Object ist die freie Schönheit. Frei ist 
das schöne Object, wenn es weder abhängig ist von einem an 
dern, noch zu seiner Betrachtung einen Begriff verlangt, der 
nöthig ist, um die ästhetische Vorstellung zu ergänzen. So 
*') Ebendas. I Th. I Ab sch n. I Buch. Allg. Anmerkg. zum ersten 
Abschn. der Anal. - Bd. VII. S. 87-91.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.