Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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ist die Einbildungskraft im Gefühl ihres Unvermögens, die in 
uns dieses Bewußtsein erweckt*). 
Hier erklärt sich, warum im Erhabenen unsere Betrachtung 
nicht ruhig ist wie im Schönen, sondern bewegt. Die Harmo 
nie der Gemüthskräfte ist hier nicht einfach und positiv, wie im 
Schönen die Uebereinstimmung zwischen Einbildungskraft und 
Verstand. Im Erhabenen wird das sinnliche Vermögen über 
wältigt und gleichsam verneint, um das übersinnliche zu erheben 
und aufzurichten. Das für die Einbildungskraft Ueberschwäng- 
liche ist gesetzmäßig für die Vernunft. Das Gemüth wird abge 
stoßen und angezogen; das Gefühl des Erhabenen ist der schnelle 
Wechsel dieser beiden Gemüthsbewegungen, es ist eine aus Unlust 
entspringende Lust, eine in Harmonie sich auflösende Dissonanz. 
Wir fühlen uns unendlich klein und gerade dadurch unendlich groß. 
Genau so beschreibt Faust das erhabene Gefühl, das ihm die Er 
scheinung des Erdgeistes erweckt hat: „in jenem sel'gen Augen 
blicke ich fühlte mich so klein, sogroß!" Diese Gemüths 
bewegung in der bloßen Betrachtung eines Objects, diese ästhe 
tische Gemüthsbewegung macht das eigentliche Wesen des Erha 
benen aus. 
Damit kommen wir zur letzten Erklärung des Erhabenen. 
Vorher wurde gesagt: erhaben ist, was uns erhebt, die erhebenden 
Objecte sind die erhabenen. Aber genau genommen sind es nicht 
die Objecte, die uns erheben, sondern unsere Betrachtung 
derselben, d. h. wir selbst erheben uns in der Betrachtung dieser 
Objecte, wir erheben in dieser Betrachtung unsere Vernunft über 
unsere sinnliche Vorstellungskraft und bringen dadurch diese bei 
den Vermögen in ihr richtiges Verhältniß, in Harmonie. Also 
*) Ebendas. I Th. I Abschn. II B. §. 25. Mg. Anmerkg. zur 
Exposition der ästh. refl. Urth. — Bd. VII. S. 99 u, 100. S. 120.
	        
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