Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

571 
t 
darum in keiner Weise ästhetisch. Das Wohlgefallen, das sich 
mit der Betrachtung dieser objectiven Zweckmäßigkeit verbindet, 
mit der Einsicht in den Nutzen oder die Vollkommenheit der Ob 
jecte, ist eine intellectuelle Lust, keine ästhetische. 
Vollkommenheit ist ein metaphysischer Begriff. Die Voll 
kommenheit eines Dinges ist ein gedachtes Object. Nun galt bei 
den Metaphysikern der neueren Zeit vor Kant der Unterschied 
zwischen Sinnlichkeit und Verstand für graduell; die Sinnlich 
keit galt ihnen als ein unklarer, verworrener Verstand; also 
mußte auch die Vollkommenheit der Dinge unklar gedacht d. h. 
sinnlich angeschaut werden können. In diese „sinnliche Voll 
kommenheit" , d. h. in die dunkel percipirte oder verworren ge 
dachte Vollkommenheit, setzten die deutschen Metaphysiker den 
Begriff des Schönen. Leibniz hatte diesen Begriff angelegt; 
Baumgarten hatte ihn systematisch gemacht, er hatte ein Lehrge 
bäude der Aesthetik, das erste dieser Art, darauf gegründet. Jetzt 
galt das Schöne für wesensgleich mit dem Wahren und Guten, 
nur graduell von beiden verschieden. Der Unterschied zwischen 
Geschmacks- und Erkenntnißurtheil, zwischen ästhetischem und 
intellectuellem Wohlgefallen war aufgehoben oder auf eine nur 
graduelle Differenz zurückgeführt. Kant entdeckt den specifischen 
Unterschied. Mit dieser Einsicht widerlegt er den ästhetischen 
Standpunkt der Metaphysiker, insbesondere die baumgarten'sche 
Aesthetik; er entdeckt und erklärt hier zum erstenmale den wesent 
lichen Unterschied der Aesthetik von der Metaphysik. 
Das Schöne ist weder von einem Interesse noch von einem 
Begriff abhängig. Es ist mithin gar nicht abhängig, sondern 
vollkommen frei. Die Schönheit ist unfrei, wenn sie zu irgend 
etwas dient , sei es um eine Begierde zu befriedigen oder einen 
Begriff zu versinnlichen. Sie ist Object bloß der Betrachtung,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.