Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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wo er war, er konnte sich geistig nicht mehr orientiren. Es war 
ein Mangel nicht bloß des Gedächtnisses, sondern der Geistes 
gegenwart; die Denkkrast war im Abnehmen. Die ungeheure 
Anstrengung selbst hatte sie aufgezehrt, und dagegen konnte kein 
Wille und keine Diät mehr helfen. Er hatte durch die Energie 
des Geistes seinen Körper zu beherrschen vermocht, jetzt konnte 
er den Geist nicht mehr regieren; sein menschliches Maß war er 
füllt, er selbst fühlte sich am Ende. Er wußte, daß in seinen 
mündlichen und schriftlichen Vorträgen schon die Spuren der 
abnehmenden Denkkrast und der sich auflösenden Kette der Vor 
stellungen sichtbar hervortraten. Im Gefühle der schwindenden 
Geisteskraft beschloß Kant den Streit der Facultäten und zugleich 
seine schriftstellerische Laufbahn mit dieser Selbstschilderung als 
Abschied vom Leben: „es begegnet mir, daß, wenn ich, wie es in 
jeder Rede jederzeit geschieht, zuerst zu dem, was ich sagen will, 
den Hörer oder Leser vorbereite, ihm den Gegenstand, wohin 
ich gehen will, in der Aussicht, dann ihn auch auf das, wovon 
ich ausgegangen bin, zurückgewiesen habe, und ich nun das Letz 
tere mit dem Ersteren verknüpfen soll, ich auf einmal meinen Zu 
hörer oder stillschweigend mich selbst fragen muß: wo war ich 
doch? wovon ging ich aus? Welcher Fehler nicht sowohl ein 
Fehler des Geistes, auch nicht des Gedächtnisses allein, sondern 
der Geistesgegenwart im Verknüpfen d. i. unwillkürliche Zerstreu 
ung und ein sehr peinigender Fehler ist." „Hieraus ist auch zu 
erklären, wie jemand für sein Alter gesund zu sein sich rühmen 
kann, ob er zwar in Ansehung gewisser ihm obliegender Geschäfte 
sich in die Krankenliste mußte einschreiben lassen. Denn weil 
das Unvermögen zugleich den Gebrauch und mit diesem auch 
den Verbrauch und die Erschöpfung der Lebenskraft abhält und 
er gleichsam nur in einer niedrigeren Stufe zu leben gesteht,
	        
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