Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Punkt, um die geschichtliche Zukunft des menschlichen Geschlechts 
zu bestimmen, nur die reine Vernunft übrig, die nach morali 
schen Gesetzen den beständigen Fortschritt zum Besseren fordert. 
Diese Forderung ist freilich noch kein Beweis, am wenigsten ein 
positiver, wie ihn in dem vorliegenden Falle die Philosophie 
braucht. Die positive Beweisführung geschieht durch Thatsachen. 
Läßt sich also durch eine Thatsache beweisen, daß die Mensch 
heit beständig zum Besseren fortschreitet? Auf diesem Punkte 
steht die juristisch-philosophische Streitfrage. 
Wenn der Menschheit eine Tendenz zum Guten, eine Rich 
tung auf die sittliche Idee inwohnt, so ist davon der beständige 
Fortschritt zum Besseren die unausbleibliche Folge. Es ist die 
Frage, ob diese Tendenz zum Guten durch ein geschichtliches 
Factum bewiesen ist, durch eine Begebenheit, die gar nicht an 
ders erklärt werden kann als durch jene moralische Anlage der 
Menschheit? Giebt es eine solche Begebenheit, so ist sie das un 
zweideutige Zeichen, aus dem wir den beständigen Fortschritt der 
Menschheit erkennen; sie ist für den Satz des Philosophen der 
positive Beweisgrund, sie ist nicht selbst die Ursache des Fort 
schritts, sondern nur das geschichtliche Symptom oder der Er 
kenntnißgrund desselben. 
Unter der Tendenz zum Guten verstehen wir, daß in der 
Menschheit die Idee der Gerechtigkeit lebt, daß diese Vorstellung 
mächtiger ist als die Neigungen der Selbstliebe, daß die Men 
schen fähig sind, den reinen Rechtsstaat zu wollen, daß sie bereit 
sind, diese Aufgabe mit persönlicher Aufopferung zu lösen und 
alles zu thun, damit die Gerechtigkeit in der Welt einheimisch 
werde. Wenn die Menschheit eines solchen Enthusiasmus, einer 
solchen Thatkraft fähig ist, so hat sie die Richtung, in welcher 
beständig fortgeschritten wird zum Besseren. Wenn es eine Be-
	        
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