Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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den; darum ist die reine Religion auch biblisch, sie ist moralischer, 
nicht historischer Bibelglaube. Der historische Glaube ist über 
haupt nicht religiös. Will man den religiösen Bibelglauben 
Orthodoxie nennen, so ist zwischen dieser biblischen Orthodoxie 
und dem reinen Religionsglaubcn kein Zwiespalt. 
Es ist für Kant's religiöse Denkweise sehr bezeichnend, daß 
er ohne alle Anlage zur Mystik doch die religiöse Natur der letz 
teren im Unterschiede vom Kirchenglauben zu würdigen und zu 
durchdringen wußte. In gewisser Weise darf er sich der Mystik 
verwandter fühlen als dem Kirchenglauben. Das Irrationale 
der Mystik ist freilich die Sache des kritischen Philosophen nicht, 
aber den religiösen Schwerpunkt, der im Moralischen liegt, hat 
er mit der Mystik gemein. Wenn man jene Frommen betrachtet, 
„die Stillen im Lande", deren einfacher Gottesdienst kein Dienst, 
sondern das schlichte Sinnbild gläubiger Andacht ist, deren Ge 
sinnungen rein sittlich, deren Christenthum ganz innerlich ist, 
deren Bibelglaube auf dem eigenen inneren Zeugniß beruht, die 
ebendeßhalb von den Kirchenthcologen angefeindet werden, so 
könnte man meinen, in diesen Leuten sei die kantische Religions 
lehre verkörpert. Diese Beobachtung war es, die Willmans 
zu dem Satz brachte: „die Mystiker seien die praktischen Kan 
tianer" ; er schrieb eine Abhandlung, die Kant selbst nicht ohne 
Billigung erwähnte, „über die Aehnlichkeit der reinen Mystik 
mit der kantischen Religionslehre"*). 
Auf den Zusammenhang zwischen Mystik und Pantheismus 
hatte schon Leibniz wiederholt hingewiesen. Der Zusammenhang 
zwischen Mystik und Religion beschäftigt mit Recht als eines der 
*) De similitudine inter mysticismum purum et Kantia- 
nam religionis doctrinam. Auct. C. A. 'Willmans. Hai. Sax. 
1797.
	        
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