Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

509 
philosophischen Facultät am nächsten verwandt und, wie diese, in 
dem Inhalt ihrer Lehre vollkommen unabhängig vom Staat. Die 
Regierung hat nur das Interesse, daß es zur öffentlichen Ge 
sundheitspflege Aerzte gebe und nicht durch Afterärzte Schaden 
gestiftet werde. Dem leiblichen Wohle gegenüber hat der Staat 
nur die Pflicht, für die Bequemlichkeit und Sicherheit seiner 
Unterthanen zu sorgen. Deßhalb verordnet er die medicinischen 
Facultäten. Die Medicinalordnung, die er vorschreibt, betrifft 
nicht die medicinische Wissenschaft, sondern die Gesundheitspolizei. 
Anders verhält sich der Staat gegenüber der theologischen 
und juristischen Facultät. Hier wird die Lehre selbst durch das 
vorgeschriebene Statut eingeschränkt und verpflichtet. Nicht die 
Vernunft, sondern die Bibel bildet die Richtschnur des Theolo 
gen; nicht das Naturrecht, sondern das Landrecht die Richtschnur 
des Juristen. Von diesem Kanon ist dem öffentlichen Glaubens 
und Rechtslehrer keine willkürliche Abweichung gestattet. Die 
biblischen Glaubensvorschriften gelten dem positiven Theologen 
als unwandelbare Bestimmungen, durch Gott selbst geoffenbart 
und darum jeder menschlichen Veränderung unzugänglich. Ein 
solches Ansehen können die öffentlichen Rechtsgesetze nicht behaup 
ten , sie verändern sich thatsächlich mit den Zeiten und Sitten. 
Der positive Jurist hat keine so feste Grundlage als der positive 
Theolog. Wenn es bloß auf das Positive und dessen Festigkeit 
ankommt, so ist in diesem Punkte der Theolog besser daran, als 
der Jurist. 
Indessen ist dieser theologische Vortheil mit einem anderen 
Nachtheile verbunden. Statute bedürfen der Auslegung. Die 
Auslegung fordert, um positiv zu gelten, einen letzten entschei 
denden, authentischen Interpreten. Einen solchen Interpreten 
entbehren die Glaubensgesetze, denn als ihre authentische Aus
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.