Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Das Geheimniß verschließt sich der theoretischen Vernunft, es ist 
von Seiten unseres Verstandes undurchdringlich, weder erkenn 
bar noch denkbar. Etwas kann sehr wohl unerkennbar sein und 
ist doch kein Geheimniß, das Unerforschliche ist nicht das Geheim 
nißvolle : die Freiheit ist kein Geheimniß und doch unerkennbar; 
die Schwere in der Natur ist allbekannt und doch in ihrem letzten 
Grunde unerforschlich. Also der Charakter des Geheimnisses liegt 
darin, daß etwas von uns nicht gedacht, nicht ausgesprochen, 
nicht mitgetheilt werden kann. Das Geheimnißvolle ist das Un 
mittheilbare; sein Gegentheil ist, was sich mittheilen läßt: das 
Oeffentliche. Was sich nie mittheilen läßt und seiner Natur nach 
stets verborgen bleibt, ist ein ewiges Geheimniß. 
Es giebt Geheimnisse, die nicht ewig sind; sie gelten noch 
als Geheimnisse, aber der weiterdringende Geist hebt den Schleier 
und durchschaut, was der früheren Welt undurchdringlich war: 
solche Geheimnisse sind die verborgenen Kräfte der Natur. Aber 
jede Natureinsicht ist an sich mittheilbar; das Naturgeheimniß be 
steht nur darin, daß man die gewonnene Einsicht in die Beschaf 
fenheit oder Behandlung der Naturkräste nicht mittheilen will, 
daß man sie sorgfältig und geflissentlich geheim hält: ein solches 
Geheimniß ist ein „Arcanum". So sind auch die sogenannten 
geheimen Dinge in der politischen Welt an sich mittheilbar; nicht 
sie selbst, nur die Kenntniß davon ist verborgen; das Geheimniß 
besteht hier in der willkürlichen Geheimhaltung: solche politische 
Geheimnisse sind „Secreta", Dinge, die nicht alle Welt wiffen 
soll und die nicht veröffentlicht werden dürfen. - 
Das ewige Geheimniß ist weder ein Arcanum noch ein Se- 
cretum. Es kann auch nicht in unserem moralischen Handeln ge 
sucht werden, denn die Gesinnung ist zwar verborgen, aber mit 
theilbar. Ewig geheimnißvoll ist allein das göttliche Handeln:
	        
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