Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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läßt sich durch gewisse Merkmale auf das sicherste erkennen und 
beurtheilen. Um diese Merkmale zu erschöpfen, bedient sich Kant 
der beliebten Topik der Kategorien; er bestimmt die Charaktere der 
wahren Kirche in Rücksicht der Quantität, Qualität, Relation 
und Modalität. Wir lassen das Schema bei Seite und heben nur 
die Charakterzüge selbst hervor. Die unsichtbare Kirche oder das 
moralische Gottesreich gilt für alle Menschen ohne Ausnahme, 
es ist daher in seiner Anlage durchaus allgemein; es vereinigt die 
Menschen bloß unter moralischen Triebfedern; seine Gesetze gel 
ten ohne jeden Zwang und zugleich unabhängig von jeder Will 
kür , hier besteht die vollkommenste Freiheit unter unwandelbaren 
Gesetzen. Auf diesen Punkten beruht die Uebereinstimmung der 
sichtbaren Kirche mit der unsichtbaren. Eine sichtbare Kirche, 
zu deren Eigenthümlichkeit der ausschließende Charakter und die 
particularistische Geltung gehört, die Spaltung in Secten und 
Parteien, ist niemals die wahre Kirche; sie ist es ebenso wenig, 
wenn in ihr andere als bloß moralische Gesetze regieren, wenn 
sie „dem Blödsinn des Aberglaubens, dem Wahnsinn der Schwär 
merei" in sich Raum läßt; sie ist unwahr, wenn sie ihre Macht 
nicht auf moralische Gesetze, sondern auf priesterliche Zwangs 
herrschaft oder geheimnißvolle Erleuchtungen Einzelner gründet, 
wenn sie nicht auf Gesetzen beruht, die unveränderlich gelten. 
Unveränderlich sind die sittlichen Wahrheiten, die so wenig eine 
willkürliche Abänderung dulden als die mathematischen, nicht die 
von Menschen gebildeten Glaubensregeln oder kirchlichen Verfas 
sungsformen. Symbole und kirchliche Administrationsformen 
sind veränderlich und der Veränderung bedürftig, nicht die ewi 
gen Gesetze der Sittlichkeit selbst. Was daher der unsichtbaren 
Kirche widerspricht und in der sichtbaren unzweideutig beweist, 
daß sie mit der unsichtbaren nicht übereinstimmt und in ihrem 
j Fischer, Geschichte der Philosophie IV. 2. Aufl. 20
	        
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