Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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thut, was sie vermag, so erzeugt sie den guten Lebenswandel, 
der im Guten beharrlich fortschreitet; sie erzeugt damit nicht mehr, 
als das Sittengesetz von uns fordert, nichts Ueberverdienstliches, 
keinen Ueberschuß, womit sie die alte Schuld tilgen könnte. 
Der wiedergeborene Mensch ist zugleich der schuldige. Er 
bleibt schuldig. Seine erste und ursprüngliche Schuld kann durch 
die Wiedergeburt nicht getilgt werden. Und da der Mensch nichts 
weiter vermag, als seine Gesinnung von Grund aus zu ändern, 
so ist überhaupt er selbst nicht im Stande, seine erste Schuld zu 
tilgen, da ihn seine Wiedergeburt nicht davon losspricht. 
Entweder also bleibt er schuldig und darum unerlöst und 
unerlösbar, oder seine Schuld muß durch einen Andern getilgt 
werden. Aber wie ist dieß möglich? Es handelt sich nicht um 
eine Geldschuld, sondern um eine Sündenschuld, um die innerste, 
allerpersönlichste Schuld, die es giebt. Kein Mensch kann statt 
des Anderen wollen, also auch nicht statt des Anderen sündigen, 
also auch nicht die fremde Sündenschuld auf sich nehmen und 
tilgen: die Verbindlichkeit, diese Schuld zu tilgen, ist schlechter 
dings unübertragbar; in Rücksicht der Sündenschuld giebt es 
„keine transmissible Verbindlichkeit". 
Es giebt keine andere Art, das Unrecht zu tilgen, als daß 
man es sühnt durch die Strafe; es giebt keine andere Strafge 
rechtigkeit als die Vergeltung. Welche Strafe ist groß genug, 
um die Schuld der Sünde, das Unrecht des bösen Willens zu 
vergelten? Der Wille hat sich absichtlich von dem ewigen Ge 
setze abgewendet. Unendlich wie das Gesetz und die Maxime, die 
sich auf alle Handlungen bezieht, ist die Verschuldung; unend 
lich wie die Schuld muß die Strafe sein. So will es die Gerech 
tigkeit. Hier ist der Conflict zwischen Gerechtigkeit und Glaube. 
Die Gerechtigkeit fordert dem radicalen Bösen gegenüber die unend-
	        
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