Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

;k'. , ' • -I .. ,\\ v 
421 
sich im Charakter jeder Handlung die Nothwendigkeit mit der 
Freiheit *4. 
Sind aber alle Handlungen als Folgen des empirischen Cha 
rakters nothwendig, so kann der empirische Charakter seine Hand 
lungsweise nicht ändern, also auch nicht bessern. Wo bleibt die 
Moralität, wenn es keine Möglichkeit der Besserung giebt? Der 
empirische Charakter hätte in seinem intclligibeln Ursprünge ein 
anderer sein können und sollen; da er aber einmal dieser gewor 
den ist, so bleibt er, was er ist, und rollt fort, wie eine 
durch den bestimmten Impuls getriebene Kugel. Hier liegt der 
fragliche und problematische Punkt. Durch die Theorie vom in- 
telligibeln Charakter will Kant die Moralität im empirischen Cha 
rakter begründen. Es ist der intelligible Charakter, der den em 
pirischen bedingt und die Moralität in ihm anlegt; zugleich ist 
es der intelligible Charakter, der dem empirischen die Richtung 
giebt, in der die Handlungen mit naturgesetzlicher Nothwendig- 
t feit einander folgen. Damit ist in dem empirischen Charakter 
die Möglichkeit einer Aenderung, also auch einer Besserung auf 
gehoben, und so scheint es der intelligible Charakter zu sein, der 
dem empirischen mit der Möglichkeit der Besserung überhaupt 
die Möglichkeit der Moralität nimmt. Es bleibt dann dem em 
pirischen Charakter nichts übrig als das Gewissen, das ihm sagt: 
du hättest anders sein sollen, du hättest auch einmal anders sein 
können; jetzt ist es zu spät, du kannst nicht mehr anders werden, 
du bist ewig verloren!" Dieses Gewissen ist nicht Reue, sondern 
Verzweiflung in ihrem höchsten Grade, in ihrem ganzen Um 
fange. 
In diesem Sinne ist die Lehre vom intelligibeln Charakter 
neuerdings verstanden und entwickelt worden. Die praktische 
*) Vgl. oben IBuch. dieses Bd. Cap. VII. S. 131-135.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.