Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Punkt, wo wir die Vorstellung von einem angeerbten Bösen, 
weil sie der Freiheit und darum der Natur des Bösen selbst wider 
streitet, zurückweisen müssen. Wie man sich diese Anerbung 
auch vorstellen möge, ob medicinisch als eine „Erbkrankheit", 
oder juristisch als eine „Erbschuld", oder theologisch als „Erb 
sünde" : in allen Fällen gilt als der Grund des Bösen ein vor 
hergehender Zustand, also eine zeitliche Ursache, also nicht die 
Freiheit. Die kantische Theorie vom radical Bösen in der Men 
schennatur muß wohl unterschieden werden von der theologischen 
Theorie der Erbsünde, mit der die kantische Lehre nichts weiter 
gemein hat als den tiefsinnigen Gedanken von der Ursprünglich 
keit des Bösen. Das Böse ist nicht Race; der Grund des 
Bösen liegt nicht in der Zeugung, sondern nur im Willen*). 
4. Das Böse als Fall. 
Nur die zeitlichen Ursachen sind erkennbar, nicht die intelli- 
gibeln; der Ursprung des Bösen ist darum unersorschlich. Wäre 
der Grund des Bösen erkennbar, so müßte er zeitlich sein; wäre 
er zeitlich, so müßte das Böse eine nothwendige Folge sein, wo 
mit seine Freiheit und mit dieser seine Schuld und Zurechnungs 
fähigkeit , d. h. sein ganzer Charakter aufgehoben wäre. Das 
Böse folgt nicht, wie eine Zeitbegebenheit auf eine andere: die 
Zeitfolge geschieht nach dem Gesetz der Causalität und Stetigkeit. 
Das Böse läßt sich nie als Zeitfolge, nie als Glied einer steti 
gen Veränderung begreifen: es ist nicht allmälig geworden, also 
überhaupt nicht geworden, sondern es ist; jenes stetige Zuneh 
men oder Wachsen des Bösen, wie wir es an menschlichen Cha 
rakteren in der Erfahrung wahrnehmen, setzt schon in seinem ersten 
*) Ebendas. Erstes St. IV. Vom Ursprünge des Bösen in der 
menschlichen Natur. — Bd. VI. S. 200—202.
	        
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