Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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Erfahrung, wir sind in dieser Rücksicht Erscheinung, Erfahrungs- 
object, Vorstellung. Als Gegenstand der Erfahrung sind wir 
Glied der Sinnenwelt (Erscheinung); als Vernunftwesen un 
terscheiden wir uns von allen unseren Vorstellungen, denken uns 
als davon unterschieden, als unterschieden auch von unserer eige 
nen Erscheinung, von uns als Sinnenwesen. Was von allen Vor 
stellungen unterschieden wird, nennen wir Ding an sich. Also 
denken wir uns selbst, indem unsere Vernunft sich von allen ih 
ren Vorstellungen unterscheidet, als Ding an sich im Unterschiede 
von unserem empirischen Charakter: wir denken uns als intelli- 
gibeln Charakter. Es liegt in der Natur unserer Vernunft ein 
doppelter Gesichtspunkt der Selbstbetrachtung: unter dem einen 
erscheinen wir uns als Erfahrungsobject, Sinnenwesen, empiri 
scher Charakter, Glied der Sinnenwelt; unter dem anderen den 
ken wir uns als Ding an sich, Verstandeswesen, intelligibeln 
Charakter, Glied der intelligibeln Welt. Als empirischer Charak 
ter sind wir zeitlich bedingt und darum unfrei, als intelligibler 
sind wir unbedingt und darum frei. Als freie Kausalität sind 
wir Wille, der sich selbst das'Gesetz giebt. In der Sinnenwelt 
handelt der Wille nach Begierde und Neigung, also Heteronom; 
in der intelligibeln Welt handelt er nach dem eigenen Gesetz, ohne 
alle empirischen Bestimmungsgründe, also autonom. Das Ge 
setz, das sich der Wille ohne alle sinnlichen Motive giebt, trägt 
den Charakter rein moralischer Nothwendigkeit; dieses Sittenge 
setz erscheint in dem sinnlich - vernünftigen Wesen als gebieterische 
Pflicht oder als kategorischer Imperativ. 
Der intelligible Charakter ist denkbar. Er ist kein Gegen 
stand der Erkenntniß, sondern ein Gesichtspunkt der Selbstbe 
trachtung. Unter diesem Gesichtspunkte, den die Vernunft ein 
nimmt, sobald sie sich von allen ihren Vorstellungen unterscheidet, 
Tischer, Geschichte der Philosophie IV. 2. Lust. 9
	        
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