Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

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heit im negativen Verstände bedeutet Unabhängigkeit von natür 
lichen Ursachen, die als solche Unabhängigkeit von allen Ursachen 
(Willkür) sein könnte, aber nicht zu sein braucht. Freiheit im 
positiven Verstände bedeutet nicht Willkür, sondern Autonomie. 
Willensfreiheit und Autonomie sind ein und derselbe Begriff. 
Wie aber ist Willensfreiheit in diesem Sinne möglich? In 
der Natur oder als Gegenstand der Erfahrung ist sie nicht mög 
lich. Und da alle menschliche Verstandeserkenntniß ihrem Ob 
jecte nach empirisch ist, so ist die Willensfreiheit kein Object un 
serer Verstandeseinsicht. Nun giebt es unabhängig von der Er 
fahrung überhaupt keine wissenschaftliche Erkenntniß, auch keine 
metaphysische, die nur in ihrem Ursprünge, aber nicht nach ihrem 
Gegenstände unabhängig ist von der Erfahrung. Also ist die 
Willensfreiheit auch kein Object metaphysischer Einsicht. Die 
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten hat mit diesem Begriff 
ihre Grenze erreicht. Sie hat gezeigt, worin die Sittlichkeit, 
richtig begriffen, besteht; sie hat deren oberstes Gesetz festgestellt 
und zugleich dargethan, daß dieses Gesetz nur möglich ist unter der 
Bedingung der Willensautonomie oder Freiheit. Das Sitten 
gesetz ist der Erkenntnißgrund der Freiheit, die Freiheit ist der 
Rcalgrund der Sittlichkeit. 
Jetzt muß dieser Realgrund untersucht werden. Die Wil 
lensfreiheit ist ein Vernunftvermögen, das nach eigenen (selbstge 
gebenen) Gesetzen handelt. Nur ein solches Vermögen kann das 
Sittengcsetz geben und ausführen. Das Gesetz wäre nichtig, 
wenn keine Kraft da wäre, die es ausführte. Das gesetzmäßige 
Sollen wäre sinnlos ohne ein naturgemäßes Können. Um die 
Sittenlehre zu vollenden, muß beides untersucht werden, das 
Gesetz und die Kraft, das Sollen und das Können. Die Grund 
legung zur Metaphysik der Sitten hatte das Gesetz, den katego
	        
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