Volltext: Kant's System der reinen Vernunft auf Grundlage der Vernunftkritik [4. Band. Zweite rev. Auflage] (4,2 / 1869)

89 
der Tugend verwandt sind, wie Selbstbeherrschung, Mäßigung 
u. s. f., sind als solche nicht gut, sie können dem Bösen dienen 
und leicht der beste Deckmantel ehrgeiziger, selbstsüchtiger, bos 
hafter Pläne sein. Mit einem Wort: alle Glücksgüter und alle 
persönlichen Vorzüge, ob sic empfangen oder erworben sind, wer 
den nur gut durch den Gebrauch, den man von ihnen macht, durch 
den Zweck, dem sie dienen. Diesen Gebrauch macht der Wille. 
Der Wille setzt ihnen den Zweck, er giebt die Absicht und fügt 
also jenen Gütern das hinzu, was allein im moralischen Verstände 
gut macht, also auch allein im moralischen Verstände gut ist. 
Nichts ist gut als der Wille. „Nichts ist an sich gut 
oder böse," sagt Hamlet, „das Denken macht es erst dazu." 
Der Wille ist nach Kant der alleinige Ursprung alles Guten und 
Bösen. 
Nun ist der Wille ein Vermögen nach bewußten Vorstellun 
gen, nach deutlichen Gründen, also nach Vernunft zu handeln; 
er ist praktische Vernunft. Wenn der Wille nicht nach Vernunft 
gründen handelt oder handeln kann, wenn er nach dunkeln, be 
wußtlosen Vorstellungen verfährt, so handelt nicht eigentlich der 
Wille, sondern der Jnstinct. Die lebendigen Körper der Natur 
sind vermöge ihrer Organisation zu einem bestimmten Lebenszweck 
eingerichtet. Auch die vernunftbegabten Wesen müssen einen 
bestimmten in ihrer Vernunft angelegten Zweck haben. Dieser 
Zweck kann unmöglich nur das äußere Wohlbefinden, die Glück 
seligkeit sein, die jedes lebendige Wesen instinctmäßig sucht, denn 
wäre die Glückseligkeit ihr alleiniger Lebenszweck, wozu die Ver 
nunft? Zur Selbsterhaltung, zur Förderung des sinnlichen 
Daseins, zur glücklichen Lebensverfassung ist offenbar der dunkle, 
aber richtig führende Jnstinct ein weit sichereres Mittel, als die 
überlegende und darum von dem natürlichen Wege vielfach ab-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.