Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges. 2 (II. / 1930)

»Gott der Gerechte! Wird doch nicht ein Frie¬ 
den ausbrechen, jetzt, wo ich noch 10.000 Paar 
Stiefel und 1000 Rucksäcke auf Lager habe!« 
Zeichnung von D. R. Andre in »Glühlichter«, 1915 
keit, eine Verwilderung der Sinnen¬ 
lust, der es nur auf ein wildes Erraffen 
von sexuellen Genüssen ankam. 
Dieser Vorgang kündigte sich schon 
in den ersten Tagen der Mobilmachung 
in jenen Kreisen der Männerwelt an, 
die sich durch Alter und Umstände vor 
einer Einberufung sicher glaubten und 
unverhüllt sich zu der Ansicht be¬ 
kannten, daß das ganze weibliche Ge¬ 
schlecht und besonders dessen begeh¬ 
renswerteren Vertreterinnen nun Frei¬ 
wild für sie sei. Das Individuum 
reagierte auf die Erscheinung Krieg je 
nach seiner Artung in frappanter 
Weise, indem es, je primitiver seine 
Denkweise war, den Kriegszustand als 
eine Lockerung der Gesetze und eine 
Wiederherstellung ursprünglicher ord¬ 
nungsloser Verhältnisse empfand. Ge¬ 
sellschaft und Staat sind im Kriege in ihrem Einfluß auf das private 
Leben des Volkes beschränkt, denn ihre Interessen konzentrieren sich auf 
politische und militärische Ziele, und es ist, als ob die elementare Kraft 
des Triebes nur auf die Lösung der Bande und Fesseln gewartet hätte, um 
alle Grenzen zu überschreiten. 
Die Fieberstimmung in den vom 
Kriege betroffenen Völkern er¬ 
höht die sinnliche Reizbarkeit, 
sie steigert die Nervenempfind- 
lichkeit bis zur Psychose und zer¬ 
stört die Hemmungen, sie macht 
empfänglicher für alle von außen 
zuströmenden Eindrücke; sie er¬ 
zeugt eine sexuelle Hypersensi- 
bilität, die selbst sonst zurück¬ 
haltende Naturen gefügig und be¬ 
denkenlos macht. Es ist die Un¬ 
gewißheit der Zukunft, die Auf¬ 
hebung der Lebenssicherheit, die 
Fragwürdigkeit aller Dinge und 
Gold nahm er für Eisen der Schatten des Todes, der alles 
Zeichnun, au, »Krieg ^Knege,. Prolet. Freidenker, verdügterti dieSe panikartige 
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