Volltext: Sittengeschichte des Weltkrieges. 2 (II. / 1930)

in ihren Hauptzügen verfolgen, wobei wir 
unser Augenmerk vor allem auf die durch sie 
verursachten Massenpsychosen richten und 
im besonderen die erotische Färbung gewisser 
Kriegslügen zeigen wollen. 
Was die ohne faktische Unterlagen, rein 
psychologisch arbeitende Haßpropaganda be¬ 
trifft, so stellt gerade diese die höchsten An¬ 
forderungen an die Kenntnis der Massenseele. 
Der amerikanische Professor Lasswell schreibt 
in einem interessanten Buche über die Tech¬ 
nik der Propaganda im Weltkrieg folgende 
bezeichnende Sätze: „Der seelische Wider- 
gegen den Krieg ist dermaßen entwickelt, 
daß jeder Krieg als Abwehrkampf gegen einen drohenden, mordgierigen 
Angreifer erscheinen muß. Es darf kein Zweifel darüber bestehen, wen 
die Bevölkerung hassen soll. Der Krieg darf nicht einem Weltsystem 
internationaler Verwicklungen, auch nicht der Dummheit oder Bosheit 
der herrschenden Klassen, sondern nur der Raubgier des Feindes zu¬ 
geschrieben werden. Schuld und Unschuld müssen geographisch abge¬ 
grenzt werden und alle Schuld hat jenseits der Grenze zu liegen1).44 So 
und nur so konnte in allen Ländern ein Haß großgezüchtet werden, der 
sich anstatt an das Gefühl bewußter Zugehörigkeit zu einer Kulturge¬ 
meinschaft an jenen Patriotismus wandte, den schon Schopenhauer als 
die Leidenschaft der Dummen verhöhnte. Jedenfalls steht der Erfolg 
dieser Haßpropaganda außer Zweifel. „Wir sind ein Volk des Zorns 
geworden,44 sang Philippi und noch ist es erinnerlich, wie viel man sich 
in Deutschland in den Jahren des Weltbrandes darauf zugute tat, mit 
Einsatz seiner ganzen Person hassen zu können. Obwohl Verallgemeine¬ 
rungen selten beweiskräftig sind, könnte der deutsche Haß im Weltkrieg 
als der systematischste unter allen bezeichnet werden, während der eng¬ 
lische Haß (cum grano salis) rationell, mehr auf vorgeschützte Tat¬ 
sachen bauend, und der französische passionell genannt werden kann. 
Auch hier ist Deutschland nicht die Glanzrolle zugefallen. Die Kund¬ 
gebung der 93 Vertreter deutscher Wissenschaft und Kunst, die als 
erster großer Coup der deutschen Kriegspropaganda ins Werk gesetzt 
wurde, entfesselte nicht ohne Grund eine stürmische Entrüstung, weil 
man auch hier systematisch vorging und tatsächliche Feststellungen 
machte, die sich in keiner Weise auf Sachkenntnis gründeten. Die Greuel 
der deutschen Kriegführung in Belgien, die freilich oft genug von der 
Entente erfunden worden waren, konnten durch eine Ableugnung, die 
auf Informationen der durch sie bloßgestellten deutschen Heeresleitung 
Deutsche Gedenkmünze — der Ha߬ 
gesang in Metall 
Sammlung A. Wolff, Leipzig 
stand moderner Völker 
186
	        
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