Volltext: Walter von Molo (Heft 8 / 1927)

Literaturwarte 
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Tag für Tag auf dem Hin- und Rückwege von der 'Arbeitsstätte in jene Scheinwelt 
der „Grafen" und „Barone", des Luxus und der Mondäne vertieft, wie kann ihm 
der Sonnenstrahl, der ihm die vielleicht ärmliche Stube vergoldet, noch Freude machen? 
Was sagen ihm noch die köstlichen Gedichte eines Eichendorff und die Streiche feines 
„Taugenichts"? 
Ich übertreibe nicht. Acht Tage lang hatte ich einmal Gelegenheit, den Betrieb 
einer Leihbibliothek unmittelbar kennen zu lernen. y5 Prozent der Frauen und Mädchen 
jeden Standes und jeden Alters gristen nach dem oben kritisterten Schund. Von den 
übrig bleibenden verlangten io Prozent Werke über Sexualprobleme und ähnliche 
Dinge. Der Rest holte sich ein wirklich gutes Buch! Von sechzig jungen Männern, 
die ich am Tage zählte, verlangten vielleicht io—15 wertvolle Sachen, einen Bölsche, 
Brehm, technische und gute schöngeistige Sachen, die anderen aber gaben sich mit den 
minderwertigsten Kriminal- und Sensationsschmöckern zufrieden. 
Ist das notwendig und wirklich nicht zu ändern, wie einem die Inhaber derartiger 
Institute immer wieder versichern? Gewiß, so wenig einem Verleger der Druck von 
Erzeugnissen, die nicht gerade mit dem Prefseparagraphen in Konstikt kommen, unter 
sagt werden kann, ist der Verleiher solcher Sachen allein schuld an dem verhunzten 
Massengeschmack. Er hat logischer Weise — abgesehen von den östentlichen Verleih 
anstalten, die durchweg gut sind — vornehmlich sein Geschäft im Sinn, er gibt, was 
verlangt und gewünscht wird. 
Das Publikum aber? Hier kann und muß der Hebel angesetzt werden, ein Weg zu 
finden sein, der endlich einmal Hirn und Seele deö lesenden Deutschland frei macht 
für das Gute Was nützt schließlich alles Reden von der Wiedergeburt des Volkes; 
was besagen alle diese lauten Dinge, wenn die RIehrzahl der Volksgenossen in 
stillen Stunden nichts wissen mag von den Menschen, die ihm so unendlich viel zu 
sagen haben. 
Gewiß, niemand verlangt Unbilliges, erwartet von dem Menschen, der tagsüber 
schwer gearbeitet, nicht, daß er sich des Abends mit tiefgründigen Problemen aus 
einandersetze. Die Zahl der guten Romane und Erzählungen jedoch ist groß genug, 
hier allen und jeden Wünschen gerecht zu werden, von den ältesten Werken angefangen 
bis zur heurigen Moderne. 
Freilich haben die meisten über all dem jahrelang verschlungenen Wust von hohlen 
Sentimentalitäten das Lesen verlernt, den Sinn für die Schönheit und Innigkeit 
unserer Sprache verloren. Denn der stirbt über jenen Büchern, deren Seiten in hohlen 
Phrasen erzählen von verlogenen Liebes- und phantastischen Mord- und Totschlag 
geschichten. 
Börrieü, Freiherr von Münchhausen schrieb jüngst einmal: „Deutsches Volk, deine 
Seele ist tot, denn dein Buch stirbt . . ." Kann Warnung mahnender und eindring 
licher sein? Zu spät ist es niemals. Wirke jeder im kleinen Kreise, dort, wo Berus und 
Geschick ihn hingestellt. Wieviele mag eö geben, die nur geführt werden wollen, in 
denen der Sinn für das Gute und Wertvolle nur schläft. Nicht zu vergessen die Vielen 
und abermals Vielen, die das wirklich gute Buch gar nicht einmal kennen, nach Schund 
und wertlosem Zeug nur aus Gedankenlosigkeit greisen. Man lehre die einmal richtig 
lesen, die in dem Bestreben, niemals allein zu sein mit sich und ihren Gedanken, 
wähl- und ziellos nach allem greisen, was sich ihnen bietet. Die vergessen, daß der 
Drganiömuö, der immer nur von Zweitklassigem und Nlinderwertigem gespeist wird, 
nachher selber zweitklassig und minderwertig bleibt oder wird.
	        
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