Volltext: Walter von Molo (Heft 8 / 1927)

Literaturwarte 
298 
DR. CHARLOTTE LOBERO 
SAGE MIR, WAS DU LIEST . . . 
lL 1 in Literatenblatt Berlins brachte kürzlich ein Interview mit Hedwig Courths- 
Mahler. Aus Rede und Gegenrede dieser „Unsterblichen" verdient ein Satz fest 
gehalten zu werden: „Durch mich hat der Arbeiter, der primitive, unkompli 
zierte Mensch erst lesen gelernt." 
Unsäglich viel ist über sogenannte Bildung und Verbildung geschrieben und geredet 
worden, Bücher und andere Dinge wurden aus den Markt gebracht, von denen die 
Line Richtung als der Kunst, dem Werke sprach, während die Gegenpartei sie kurz 
und bündig als „Kitsch" beiseite schob. 
Nun soll hier beileibe nicht über die „literarische" Bedeutung der Courthö-Mahler 
gestritten werden; eö gibt wichtigere Dinge. Aber die Frage sei doch gestellt: Was 
berechtigt diese Frau, rein äußerlich betrachtet, zu der oben erwähnten 
Behauptung? 
Doch wohl zunächst die Tatsache einer gefüllten Kasse, herrührend vom immensen 
Absatz ihrer Romanfabrikate. Daß er ein ungeheurer, ist unumstrittene Tatsache. 
Manche Zeitung hält eS für ihre Pflicht, ihren Lesern wenigstens von Zeit zu Zeit 
eine „Ehe der Vettine", eine „Kriegsbraut" oder dergleichen vorzusetzen. Wessen Bücher 
liegen in zahlreichen Buchhandlungen? Ein Gorch Fock, ein Hermann LönS, ein 
C. F. Meyer fehlen oft, eine Courths-Mahler, eine Anny Wothe u. a. jedoch nie 
oder selten. Wer füllt die Spalten in den Katalogen auch der Großftadtleihbibliotheken? 
Immer wieder die Obengenannten! Freilich, die anderen find auch da, die Großen, 
weniger Großen und Kleinen der wirklichen Literatur, doch offenbart sich einem der 
Grad ihrer Einschätzung durch das Publikum schon rein äußerlich. Zerlesen und noch 
mals zerlesen jene Bücher mit ihren kitschig-sentimentalen Titeln, deren Inhalt sich 
immer und immer wieder um dasselbe dreht: die blonde Heldin, die schwarze Intri 
gantin, den schurkischen Erbschleicher und den zuguterletzt totficheren — Sieg des 
Guten . . . 
„Auf ihren pfirsichfarbenen Wangen lagen die Wimpern wie schwarze 
F ranzen." 
Solch' Zeug wird gelesen, verschlungen von Tausenden und Abertausenden, tag 
täglich, zu Hause, in der Straßenbahn, im Büro, auf der Reise, im ganzen deutschen 
Vaterlande. Drückt man nun einem von diesen Menschenkindern einmal einen LönS 
in die Hand, sein köstliches „Grünes Buch", um eins herauszugreifen, so wird eS meistens 
als „zu hoch" und langweilig beiseite gelegt. Es „geschieht" ja nichts darin. 
Es ist grundsätzlich verkehrt, diese betrübende Dinge lediglich von der .scherzhaften 
oder ironischen Seite zu nehmen, wie das so oft geschieht. Etwas Tieftrauriges steckt 
hinter alledem. 
Das gute Büch ist dem denkenden und lebendigen Menschen zumeist der beste Freund* 
Wie aber muß eö um die Seele der Menschenkinder bestellt sein, denen solche „Freunde" 
wie oben bezeichnet zur Seite stehen? Oie ihnen immerzu das Leben malen voll schäd 
licher, weil unwahrer und verlogener Romantik? Diese Menschen müssen ja den Sinn 
verlieren für alles wirkliche Geschehen in und um sich. Das junge Mädchen, das sich
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.