Volltext: Schreib das auf, Kisch!

nicht davon überzeugt gewesen wäre, daß nach dieser Angele¬ 
genheit sich niemand mehr zur Fortsetzung des Verrats oder 
gar zu einem neuen bereit erklären würde. Österreich aber? 
Redl, Generalstabschef eines der wichtigsten Korps, Oberst und 
besonderer Vertrauensmann, wird unzweifelhaft des fortgesetzten 
Verrats überwiesen, und sofort drückt man ihm den Revolver 
in die Hand und gewährt ihm einen „ehrenvollen Tod“, nur aus 
Angst vor der Öffentlichkeit. Nach keinem Komplizen wird er 
gefragt, nicht über seine jahrelangen Beziehungen, nicht über 
deren Entstehung, nicht über die Mittelsmänner, nicht über die 
Wege und nicht über die Objekte seines Verrats verhört, und so 
vervielfältigten unsere weisen Militaristen den Glauben des 
Volkes, die Armee sei voll solcher Verräter. Und es ist selbstver¬ 
ständlich, daß man nach einem geschlagenen Feldzug diese Ver¬ 
mutung bestätigt glaubt, den Rest von Vertrauen in die Führung 
verliert und seinen Pauschalverdacht unverblümt ausspricht. 
Aber die wichtigsten Gründe für die Widerstandsunfähigkeit der 
Monarchie liegen tiefer. 
Freitag, den 21. August 1914. 
Lager in Janja. Jetzt sucht man die Fehler in der Verpflegung 
gutzumachen. Wir fassen ungarische Salami, eine gute Suppe, 
Rindfleisch, Kaffee mit Rum und Brot. Soldaten haben sich An¬ 
sichtskarten gekauft, zum Andenken. Es sind nicht etwa An¬ 
sichten aus Bosnien, sondern kitschige „Künstlerkarten“ mit 
Aufschriften wie „Oh, daß sie ewig grünen bliebe.“ Post wird 
ausgeteilt, die Offiziere studieren die Namen der Beförderten 
im Verordnungsblatt. 
Die Namen der Adressaten von Briefen und Karten werden 
verlesen. „Ist tot,“ erschallt es jede Weile beim Namensaufruf, 
und alles ist still. Der Tagskorporal steckt den Brief in die 
Tasche, den Brief, in dem eine Mutter, eine Geliebte, eine Gattin 
geschrieben hat, wie bange ihr sei und wie sehnsüchtig sie den 
Augenblick des Wiedersehens erwarte. 
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