Volltext: Schreib das auf, Kisch!

kaufen oder zu requirieren, längst erschöpft, die Gefechtslage 
schwankend, unsere Verluste sehr groß. — Durch Schluchten 
und Pässe gegen Pereseny und andere Orte, deren Namen auf 
den Stationsgebäuden übertüncht sind. 
Dienstag, den 9. Februar 1915. 
In Reföly wurden wir um fünf Uhr auswaggoniert, erhielten 
Kaffee oder Tee — der Koch wußte selbst nicht genau, was es 
war — und brachen nach Sikosfalva auf, durch Hohlwege voll 
Buchen, Schnee und Fuchsspuren. Die Sonne brannte, als wären 
wir nicht im hohen Norden, nicht mitten im Winter. Ein Auto 
des Divisionskommandos überholte uns, nachdem wir fünf Kilo¬ 
meter zurückgelegt hatten: Kehrt euch und Marsch nach Ung- 
var! Eine Stunde später waren wir in Pereseny, einem Ort 
östlich der Kultur, mit Figuren, wie von Karl Emil Franzos 
gezeichnet, kleine Judenkinder mit gekräuselten Schmacht¬ 
locken, Judenfrauen, Perücken über ihrem eigenen (bei der 
Hochzeit abgeschnittenen) Haar, Männer in Kaftanen und 
Schaftstiefeln, Huzulen und Slowaken in Schafpelzen. Und unter 
diesen exotischen Volkstypen bewegten sich blonde Germanen 
des Potsdamer Garde-Artillerie-Regiments in Uniformen, die 
unseren Neid weckten. 
Um vier Uhr Ankunft in Ungvar. Die Not der Gegend ist 
unbeschreiblich, die Bewohner betteln bei den Soldaten um 
ein Stückchen Brot oder ein paar Teeblätter. Wir sind in der 
auf einer Anhöhe liegenden Schule untergebracht, die Mutter 
des Lehrers zerhackt den Rest der Bänke und der Schultafeln, 
um einheizen zu können. Die Gattin des Lehrers, der an der 
Front steht, ist vor einer Woche irrsinnig geworden. In einer 
Familie des Nachbarhauses sind zwei Kinder an Hungerödem 
gestorben, ein drittes liegt in Agonie, die vier anderen und die 
Mutter umgeben schreiend und weinend das Bettchen und 
danken kaum, als wir ihnen einen halben Laib Kommißbrot 
und ein Stück Salami geben. 
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