Volltext: Schreib das auf, Kisch!

mich erstattet worden sei, aber das ist unwahrscheinlich, denn 
sonst wäre ich längst verhaftet. 
Sonntag, den 27. Dezember 1914. 
Die Liebesgabenpakete, deren Adressaten gefallen oder ge¬ 
fangen sind, wurden an uns verteilt. Jeder zweite Soldat Ist 
magenkrank vom vielen Biskuit, von Schokolade, Konfekt, Back¬ 
werk; nach so langer Zeit des Hungerns verträgt man nichts, am 
allerwenigsten derartige Extravaganzen. 
In Ofutak sind acht Fälle von Cholera festgestellt worden, 
und auch die Weihnachtsnummern der Wiener Blätter sind 
wieder da. Die Kriegsberichterstatter haben sich für diesen fest¬ 
lichen Anlaß die Schilderung der Paraschnitza aufbewahrt, auf 
der wir drei Monate lebten; unter dem Titel „Die blutgetränkte 
Halbinsel“, „Die unterirdische Stadt“, „Die Stadt der Lauf¬ 
gräben“ verzapfen sie ihre feuilletonistischen Weisheiten. 
Montag, den 28. Dezember 1914. 
Mannschaft hat vorschriftsmäßig adjustiert zu sein, Seiten¬ 
gewehr zu tragen, erst nach sechs Uhr abends darf man ins 
Gasthaus gehen, Inspizierungen, Salutiervorschriften und ähn¬ 
liche Dinge, mit denen der Feldzug unbedingt gewonnen werden 
muß. Die Offiziere sind wieder arrogant und streng. Aber darf 
mich das wundern? In der „Kultur“ entpuppen sich viele als 
unmöglich, die im Schützengraben wertvoll waren. 
Einer hatte mir in der Front Hunderte von Gefälligkeiten er¬ 
wiesen, Kaffee gekocht, eine Decke für mich gestohlen, wenn 
meine gestohlen war, meine Menage aufgehoben, wenn ich auf 
Patrouille ging, Knöpfe beschafft, wenn auf meinen Gamaschen 
der letzte abriß — Dienste, ohne die ich vielleicht Hungers ge¬ 
storben, erkrankt oder trübsinnig geworden wäre, Dienste, die 
ich nie in meinem Leben abzuzahlen vermag. Und nun kommt 
er, der mit mir sein einziges Stück Brot geteilt hat, der mein 
Bruder war, und sagt: „Kisch, zahl’ mir einen Schnaps, ich hab* 
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