Volltext: Schreib das auf, Kisch!

Freitag, den 25. Dezember 1914. 
Die Nacht verbrachte ich, mich übergebend, auf dem Hof. 
Gegen Morgen schlief ich ein, wurde aber gleich geweckt: die 
Hühner waren um die wiedergegebenen Reste meiner gestrigen 
Weihnachtsmahlzeit in lauten Streit geraten. 
In den Straßen ist Kirchgang. Bäuerinnen in geblümten Kopf¬ 
tüchern, Mädchen mit unbedecktem Haupt und Gretchenfrisur, 
alle Frauen haben den bordeauxroten oder dunkelvioletten 
Seidenrock über gestärktem Unterrock, so daß sie aussehen, als 
stolzierten sie in Krinolinen. Außerdem tragen sie Spitzen¬ 
schürzen, um die Brust ein wollenes Tuch mit Borten und 
Fransen, am Hals ein Kreuz an goldenem Kettchen, und an 
einem Seidenband baumelt ein großes Medaillon mit Photo¬ 
graphie von Vater, Mutter oder Gatten. Sie halten das Gebet¬ 
buch in beiden Händen vor dem Leib und plappern in deutscher 
Mundart. Sind wir in Thüringen? Nein, in Südungarn, in der 
Bäcska. 
Ich bin meine Läuse noch immer nicht los, trotzdem ich das 
Hemd schon oft gewechselt und beinahe meine ganze Löhnung, 
die ich endlich behoben, für Wäsche ausgegeben habe. Mit Pe¬ 
troleum, mit Reittersalbe, mit Jodoform, mit Perubalsam habe 
ich mich schon beschmiert, meine Haut ist noch immer ent¬ 
zündet, die teure und tadellose Wäsche habe ich weggeworfen, 
ebenso Halstuch und Bauchbinde und Sweater, von liebevollen 
Stricknadeln verfertigt. Alles vergeblich, die Läuse leben, ihre 
Wohnung ist jedenfalls in meiner Montur, die ich nicht ablegen 
kann, weil ich keine andere habe, o du fröhliche, o du selige, 
gnadenbringende Weihnachtszeit I 
Samstag, den 26. Dezember 1914. 
An Stelle des FMLt. Daniel ist General Schön zum Komman¬ 
danten der 9. Division ernannt worden, jener Herr, dessen Ein¬ 
tritt in das Bahnhofsrestaurant von Ujvidek zu unserem Hinaus¬ 
wurf Anlaß gab. Man spricht davon, daß die Strafanzeige gegen 
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