meinen nicht die ärgsten. Ja, die Primitivität des Lebens hat
mich oftmals direkt befriedigt, und wenn ich sah, wie ein Offizier
einen Infanteristen, dem er im Frieden kaum auf den Gruß
gedankt hätte, um ein Stück Brot oder ein Zigarettenpapier an¬
bettelte, freute ich mich.
Begegnung mit dem Dichter. Er ist bei der Divisionstelephon¬
abteilung tätig und trägt einen abendfüllenden Umhängebart,
dessen beide Spitzen mit den Brustwarzen zusammenfallen. Der
Koch hat mir ihn auf den Hals gehetzt, um ihn loszuwerden.
So schulde ich dem Koch nichts mehr für sein Essen, wir sind
quitt. Um also von dem Dichter zu sprechen, er ist Forst¬
beamter, Dichter, Unteroffizier und Dummkopf zugleich; er hat
einmal ein Forstgedicht und ein patriotisches Schülerlied ge¬
lesen, und aus Zitaten dieser beiden Gedichte setzt sich seine
äußerst produktive Dichtkunst zusammen, die von „Wald und
auf der Heide“ und „O du mein Österreich“ wimmelt, und deren
Erzeugnisse er fein säuberlich mit eigens mitgeschleppter Tinte
in ein Notizbuch einträgt, auf Feldpostkarten in die Welt sendet
und allen Leuten vorliest, deren er habhaft wird. „Sie sind ja
ein zweiter Goethe,“ sagte ich ihm, um zu sehen, wie weit seine
Albernheit gehe. „Ja, das ist eine eigene Gabe,“ erwiderte er mit
unerschütterlichem Ernst und fragte mich, ob er mit der Heraus¬
gabe seiner Kriegsgedichte einige tausend Kronen und die Un¬
sterblichkeit verdienen werde. Das heißt, er fragte mich nur des
Geldes wegen, an der Unsterblichkeit zweifelte er nicht eine
Sekunde. Die meisten Leute der Division nehmen seine Dich¬
tungen ernst. Eine Probe aus seinen Gedichten:
„Er ist jetzt als Oberleutnant beim Generalstab eingeteilt
Und wenn er mich sieht, ruft er: Weidmanns Heill“
Donnerstag, den 26. November 1914.
Den Tagen von Lajkovac danke ich die Bekanntschaft mit
einem interessanten Typ von Kriegskriminellen, mit jenen Be¬
rufsoffizieren, die an Gefechtstagen immer krank werden, und
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