sie nicht herüber, trotzdem an dieser Stelle nicht geschossen
wurde.
Am Abend spielte, in der serbischen Schwarmlinie gedeckt
auf gestellt, eine Musikkapelle, deren Töne zu uns herüber¬
drangen. Man feierte den zweiten Jahrestag der für die Serben
siegreichen Schlacht von Kumanowa und wollte durch die fröh¬
lichen Klänge auch uns die serbische Kriegsbegeisterung zeigen.
Sie spielten das tschechische Volkslied „Andulka Safarovä“ und
das patriotische „O du mein Österreich“. Nach serbischen Lie¬
dern schien eine Ansprache zu folgen, und dann brauste osten¬
tativ begeistert ein dreifaches „Zivio“ zu uns herüber.
Samstag, den 24. Oktober 1914.
Das war bisher mein brennendster Wunsch gewesen: einen
Urlaub nach Prag zu bekommen, anständig zu baden, anständig
zu essen, mich anständig auszurüsten und die Lieben zu sehen.
Seit heute ist es nicht mehr mein Wunsch. Ein Kamerad kam
vom Verwundetenurlaub aus Prag zurück. Ich sagte, daß er zu
beneiden sei. ,,Wenn nicht der Abschied wäre,“ erwiderte er.
Dieser Satz war es, der mich endgültig von meinem Wunsch
abgebracht hat. Nein, jetzt noch einen Abschied? Damals war
es noch verhältnismäßig gut gegangen. Es war nur ein Krieg
Österreichs gegen Serbien, und man mußte annehmen, daß er
bald zu Ende sei. Meine Bagage hatte in einem winzigen Hand-
köfferchen bequem Platz, und ich glaubte, noch zuviel mitge¬
nommen zu haben. Auch war ich damals der einzige von meinen
Brüdern, der eingerückt war. Jetzt ist niemand bei Muttern zu
Hause, geradezu ein Weltkrieg im Gange, kein Ende abzusehen,
jeden Tag erscheinen endlose Verlustlisten in der Zeitung,
Freunde sind vermißt, Verwundete tot, die Stadt von Krüppeln
bevölkert, Witwen und Waisen erfüllen die Heimat mit Weinen,
Not und Schmerz, ich weiß jetzt, wie es hier zugeht. — Nein,
nur jetzt nicht noch einmal den Abschied!
Die Stimmung in Prag soll kriegsfeindlich sein. Allgemein
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